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Angelika Beer
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Gr¸nen Sicherheitsexpertin sieht positive Ver”nderungen in der T¸rkei - Interview

13.10.2004

Gr¸nen Sicherheitsexpertin sieht positive Ver”nderungen in der T¸rkei

Deutschlandfunk-Interview mit Angelika Beer, Sicherheitsexpertin der B¸ndnis-Gr¸nen

Elke Durak: Deutsche Leopard-II-Kampfpanzer in die T¸rkei? Warum nicht! Die Bundesregierung sei grunds”tzlich daf¸r bereit. Der Bundessicherheitsrat solle demn”chst dazu beraten und beschlieþen. Es gibt auch schon 350 Kampfpanzer, die schon mal in den Depots fertig stehen. 1999 war das noch nicht m–glich. Die B¸ndnis-Gr¸nen hatten sich verweigert und standen die schwere Koalitionskrise durch. Ist das der Schnee von gestern? Was ist denn jetzt anders als 1999? Wer hat sich mehr ver”ndert, gewendet, gewandelt: die T¸rkei oder die B¸ndnis-Gr¸nen oder beide? Und Bundesverteidigungsminister Peter Struck ist ¸berzeugt, die Gr¸nen sind kein Problem; man m¸sse nur lange genug mit ihnen reden, dann kann man sie auch ¸berzeugen.
Zweitens: deutsche Soldaten in den Irak - warum nicht! Jetzt nicht, aber sp”ter vielleicht. Nicht ganz ausgeschlossen, auch dazu Peter Struck. - Am Telefon ist Angelika Beer, die ehemalige Gr¸nen-Vorsitzende, Sicherheitsexpertin ihrer Partei und Mitglied im Ausschuss Verteidigung und Sicherheit des Europaparlaments. Guten Morgen!

Angelika Beer: Guten Morgen.

Durak: Frau Beer, die Gr¸nen sind kein Problem, sagt Peter Struck in einem Interview oder in Zeitungsinterviews heute Morgen. Man muss mit ihnen reden, dann k–nne man sie schon ¸berzeugen. Sind die Gr¸nen kein Problem mehr in diesem Fall?

Beer: Mit der ersten Aussage hat er sicherlich Recht, weil er verkennt, dass das Problem bei der anderen Seite liegt, n”mlich bei der Opposition. Die Opposition hat sich in den letzten 15 Jahren als Biederm”nner hingestellt. W”hrend wir versucht haben, mit Menschenrechtsdelegationen auch Waffeneins”tze zum Beispiel gegen die Kurden durch das t¸rkische Milit”r zu verhindern, hatte die Opposition ¸berhaupt keine Bauchschmerzen, hat auch versucht, illegal R¸stungsexporte in die T¸rkei m–glich zu machen. Heute, wo sich die Situation in dem Land ganz drastisch ge”ndert hat, entpuppen sich die Biederm”nner wieder als Brandstifter, n”mlich indem sie eine Unterschriftenaktion vorbereiten gegen die T¸rkei, was sicherheitspolitisch sowohl f¸r uns im Inland, also in Deutschland, als auch auþenpolitisch massiven Schaden bringen w¸rde. Insofern hat er Recht.
Das zweite: man muss nur mit uns reden. Damit hat er nicht Recht, denn wir sind diejenigen, glaube ich, die authentisch aufgrund der st”ndigen Pr”senz in der T¸rkei sagen k–nnen, das Land hat sich ver”ndert. Wir haben gestern in Br¸ssel eine groþe Feier gehabt, eine wundersch–ne Feier gehabt. Wir haben n”mlich Leyla Zana und ihren Mann empfangen, die jahrelang inhaftiert waren, die 1995 den Sacharow-Preis bekommen haben und morgen wird er offiziell ¸bergeben werden. Das allein ist auch ein Zeichen daf¸r, wie sehr die T¸rkei sich gewandelt hat.

Durak: Das heiþt, Frau Beer, Sie sehen keinen Grund, die Panzerlieferungen zu unterbinden?

Beer: Wenn der Kommissionsbericht, der von G¸nter Verheugen und Prodi vorgestellt worden ist, am 17. Dezember von den Regierungschefs der L”nder positiv bewertet werden sollte und sie der Empfehlung folgen, Verhandlungen aufzunehmen, was ich inst”ndig hoffe, weil das eine Unterst¸tzung der Demokratie ist - Demokratie kommt nicht aus Gewehrl”ufen -, dann muss man auch realistisch zur Kenntnis nehmen, dass die EU davon ausgeht, dass es keine Menschenrechtsverletzungen mehr gibt, dass kein Waffeneinsatz gegen die kurdische Bev–lkerung mehr droht. Damit w”ren auch andere Grundlagen f¸r die Frage R¸stungsexport ja oder nein geschaffen.

Durak: Frau Beer, aber da tun Sie ja auch den zweiten Schritt vor dem ersten. Wenn es im Dezember zun”chst einmal nur um das Ja, ok dazu geht, die Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, dann aber Jahre sozusagen veranschlagt werden, um zu pr¸fen, Sie aber vorher schon liefern wollen, das geht doch nicht zusammen?

Beer: Nein. Die Pr¸fung hat zur Grundlage, dass man sagt, dass nicht nur die Demokratisierung auf dem Papier, also per Gesetz erfolgt ist, sondern auch in den Regionen. Ich selbst war in diesem Jahr in Kurdistan, ich war im S¸dosten, ich habe mit den Menschenrechtsorganisationen gesprochen, mit den Kurden, die sich bisher in ihrer Sprache nicht verst”ndigen konnten. Es ist dort ein klarer Wille Richtung Europa und es ist nicht mehr die Angst permanenter Bedrohung oder eines m–glichen Einsatzes. Das muss man zur Kenntnis nehmen und deswegen gibt es dort eine andere Positionierung von mir und vielen anderen, als wenn es um R¸stungsexporte auch aktuell von Panzern in andere L”nder geht.

Durak: Also noch einmal im Klartext: Panzerlieferungen in die T¸rkei ja, wenn im Dezember die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beschlossen wird?

Beer: Richtig, denn die T¸rkei weiþ, dass sie keine Verhandlungen mehr f¸hren kann beziehungsweise dass sie abgebrochen werden, wenn noch mal gewaltsam gegen die Kurden vorgegangen werden sollte.

Durak: Zweites Thema, was uns Bundesverteidigungsminister Struck sozusagen heute Morgen in den Schoþ gelegt hat mit seinen Zeitungsinterviews. In der "Financial Times Deutschland" schlieþt er - heute Morgen nachzulesen - nicht mehr aus, dass auf lange Sicht Deutschland sich auch milit”risch im Irak richtig engagieren k–nnte. Ich will es f¸r Sie und f¸r die H–rer noch einmal zitieren. "Ich schlieþe den Einsatz deutscher Soldaten im Irak jetzt aus, aber generell wird keiner die Entwicklung im Land so vorhersehen k–nnen, dass er verbindliche Aussagen machen kann". - Auf lange Sicht! Dies ist ein Richtungswechsel und Sie und andere Politiker kennen Peter Struck ja nicht als einen Mann, der politische Nebelkerzen wirft oder Testballons steigen l”sst, um die Reaktion zu testen. Ist das eine generelle Richtungs”nderung in der deutschen Politik gegen¸ber dem Irak?

Beer: Eine generelle Richtungs”nderung sehe ich darin nicht, wird ¸brigens auch nicht durch den Verteidigungsminister verk¸ndet. Fakt ist - und das ist das, was wir alle sagen -, es ist derzeit vollkommen unvorstellbar, dass in einem Land, das immer weiter droht, auseinanderzubrechen, deutsches Milit”r zum Einsatz kommt. Wo ich eine Richtungs”nderung sehe ist allerdings die Bereitschaft, aufgrund der Grundlage der NATO-Beschl¸sse von Istanbul im Juni jetzt mit Waffenlieferungen, und zwar unkontrolliert anzufangen. Das sind Fuchs-Panzer aus Deutschland, die dem Irak irgendwann zur Verf¸gung stehen werden, ohne dass man den Einsatz wirklich kontrollieren kann. Das halte ich f¸r einen Fehler, denn das zeigt - und das ist vielleicht auch die Aussage von Peter Struck - eine Unsicherheit der deutschen Bundesregierung, wie man jetzt innerhalb der NATO und gegen¸ber den Amerikanern vorgeht. Ich kann nur unterstreichen, gerade im Irak ist jede Art von milit”rischer weiterer Pr”senz unter den jetzigen Voraussetzungen eher ÷l ins Feuer gieþen als der Versuch, in diesem Land mit Unterst¸tzung - und zwar nicht milit”rischer Unterst¸tzung, sondern humanit”rer und Hilfe auch im wirtschaftlichen Bereich - eine Friedensperspektive zu entwickeln. Insofern sollte man nicht spekulieren, wie Peter Struck das jetzt gerade anf”ngt. In der Tat - und da hat er Recht und das ist bitter - kein Mensch weiþ, wie sich die Lage im Irak entwickeln wird und da geht es dann nicht nur um den Irak, sondern den gesamten Nahen und Mittleren Osten.

Durak: Und Sie meinen, was den Irak betrifft, ein weiteres milit”risches Engagement der NATO?

Beer: Die NATO hat beschlossen, dass sie Ausbildungshilfe erstattet. Das war sehr umstritten. Es gab L”nder, die auch Druck aus¸ben wollten, dass man jetzt mit milit”rischer Pr”senz nicht nur im benachbarten Ausland, sondern auch im Irak selber sein sollte. Die NATO hat sich auf einen Minimalkonsens geeinigt, also die Ausstattungshilfe, wo Deutschland sich jetzt beteiligt. Ich glaube aber, dass diese Unklarheit daf¸r sorgt, dass man nicht mehr klare politische Grenzen ziehen kann. Diese Gefahr sehe ich und das deutet auch Herr Struck in seiner Aussage an.

Durak: Was denken Sie auf lange Sicht? Endet diese lange Sicht vor den Bundestagswahlen oder danach?

Beer: Die lange Sicht wird sich glaube ich relativ schnell kl”ren, n”mlich ob es m–glich sein wird, Anfang n”chsten Jahres tats”chlich Wahlen im Irak durchzuf¸hren. Ich habe dort groþe Zweifel, gerade wenn die Voraussetzung daf¸r ist, dass die Amerikaner wie gerade in den letzten Tagen auch gezielt Hochzeiten angreifen oder andere zivile Events mit der Begr¸ndung, dass dort Terroristen sind. Das ist nicht das Ebnen eines friedlichen Umfeldes, sondern das schafft langfristig Destabilit”ten, die dann eine Wahl verhindern werden und negative Auswirkungen auch auf die benachbarten L”nder haben. Ich hoffe, dass diese Situation allerdings nicht eintritt.

Durak: Wer, Frau Beer, soll denn dann aber dem Irak wirklich Frieden bringen? Wenn Sie die Amerikaner so kritisieren und diesen Kurs nicht wollen, die NATO aber auch nicht sich mehr engagieren soll, Deutschland schon gar nicht, wer soll dann Frieden bringen?

Beer: Die Stabilisierung kann nur mit der Gesellschaft erfolgen und nicht gegen die Gesellschaft. Das Problem ist - und das haben nicht die Gr¸nen zu l–sen: Wir haben immer kritisiert, dass die Amerikaner sich die milit”rische Federf¸hrung auch zum jetzigen Zeitpunkt noch vorbedungen haben, dass sie massivste Fehler begangen haben mit ihren Folterungen. Da k–nnte man unendlich viel aufz”hlen. Das hat Wunden geschafft in den Menschen, in den Seelen, aber auch zwischen den Kulturen. Ich kann nur eines sagen: mit Waffenlieferungen und der Spekulation, ob noch mehr Milit”r eher Frieden bringen kann, begeht man den falschen Weg. Wir m¸ssen die Herzen der Menschen gewinnen. Dann werden wir auch eine friedliche Perspektive mit bereiten k–nnen.

Durak: Danke sch–n! - Das war Angelika Beer von den B¸ndnis-Gr¸nen. Sie ist Sicherheitsexpertin ihrer Partei und Mitglied im Ausschuss Verteidigung und Sicherheit im Europaparlament.

Das Interview f¸hrte Elke Durak vom Deutschlandfunk.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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