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Angelika Beer
MdEP

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taz-Streitgespr”ch: "Als Europ”er wollen wir schneller handeln"

27.05.2005

MODERATION:
DANIELA WEINGŸRTNER

taz: Der Vorwurf, die Union nehme in der ver”nderten Welt immer st”rker eine milit”rische Rolle wahr, und der Vorwurf, die Verfassung sei militaristisch, werden in der Debatte h”ufig vermischt. Versuchen wir das mal getrennt zu sehen: Hat sich die Union bereits vor der Verfassungsdebatte in Richtung Milit”rmacht entwickelt?

Angelika Beer: Als Konsequenz der Unf”higkeit der Europ”ischen Union in den 90er-Jahren, die Kriege auf dem Balkan zu verhindern, war die Entscheidung, sich eigene auþenpolitische und milit”rische Kapazit”ten anzueignen, richtig. Es geht keineswegs darum, den USA milit”risch die Stirn zu bieten. Aber die EU muss als Akteur in der Welt Verantwortung auch in der Frage der Sicherheitspolitik ¸bernehmen - und zwar in erster Linie auf europ”ischem Gebiet.

In Mazedonien haben wir im polizeilichen Bereich Verantwortung ¸bernommen. Dort ist es uns immerhin gelungen, einen Kriegsausbruch zu verhindern. Mit den Battle-Groups hat die EU die neue M–glichkeit, im Zweifel auch milit”risch eine Sicherheitslage zu gew”hrleisten. Ich halte das f¸r richtig. G”be es diese M–glichkeit nicht, w¸rden kleinere Gruppen von Mitgliedsl”ndern in eine "Koalition der Willigen" eintreten, v–llig unkontrolliert. Dann k–nnte sich Bush diejenigen raussuchen, die bereit sind, v–lkerrechtswidrige Angriffskriege zu unterst¸tzen. Genau das will ich verhindern.

Herr Becker, sehen Sie einen anderen Weg?

Peter Becker: Die Alternative sieht so aus, dass die EU zwei Instrumente bereitstellen m¸sste: Die zivile Konfliktbearbeitung und die - nachgeschaltete - milit”rische Konfliktbearbeitung. Es gibt in der Union eine R¸stungsagentur, aber keine Agentur f¸r zivile Konfliktbearbeitung. Die EU hat ja ein Programm zur Krisenpr”vention. Wenn man sich aber die finanzielle Ausstattung ansieht, gibt es eine unglaubliche Diskrepanz zum milit”rischen Bereich.

In Deutschland sind in den letzten f¸nf Jahren 58 Millionen Euro bereit gestellt worden. Man hat 160 zivile Konfliktbearbeiter ausgebildet und schickt sie nun weltweit in Eins”tze. Wenn man diese Zahlen mit dem milit”rischen Potenzial in Deutschland vergleicht, sieht man die Diskrepanz.

Beer: Bevor man um das Geld streiten kann, braucht man erst die Institutionen, die es sinnvoll verwenden k–nnen. Deutschland ist international Vorreiter, zum Beispiel mit dem Zentrum f¸r internationale Friedenseins”tze. Gerade die Erfahrung mit dem Tsunami hat gezeigt, dass andere L”nder hinterherhinken. Zurzeit analysieren wir, wie unterschiedliche Elemente aus der zivilen Konfliktbearbeitung, zum Beispiel in Groþbritannien, Schweden und ÷sterreich, konzeptionell mit dem Europ”ischen Zivilen Friedenskorps zusammengebracht werden k–nnen. Wir wollen daf¸r sorgen, dass auf europ”ischer Ebene schneller gehandelt werden kann.

Aber davon mal abgesehen - man muss doch sehen, wie groþ die Unterschiede sind zwischen der Europ”ischen Sicherheitsstrategie und der nationalen Sicherheitsstrategie der Amerikaner. Die Europ”er versuchen auf friedlichem Wege den Iran davon abzuhalten, Nuklearwaffen zu beschaffen. Die Amerikaner haben das gleiche Ziel - aber sie sitzen Gewehr bei Fuþ und sagen: Wenn es schief geht, geht es vor den UN-Sicherheitsrat - und was das bedeutet, wissen wir sp”testens seit dem Irak. Ich kritisiere an der Friedensbewegung, dass sie diese Probleme einfach ignoriert. Auch was den Terrorismus angeht, kann man nicht einfach sagen: Sch–n, dass es uns bislang nicht getroffen hat. Da m¸ssen wir uns doch im Bedrohungsfall gegenseitig helfen, auch im transatlantischen B¸ndnis.

Ist die Friedensbewegung da zu naiv, Herr Becker?

Becker: Die Friedensbewegung fragt eben erst mal, woher die Bedrohungen kommen. Auch da k–nnen wir feststellen, dass zu wenig an den Ursachen f¸r den Terrorismus gearbeitet wird. Pr”ventiv milit”risch wird jede Menge gemacht, angefangen von der Verminung der Flugh”fen Ö

Beer: Aber das ist doch ein Grund, die EU zu unterst¸tzen! Das ist das erste Staatenb¸ndnis, das klar sagt, der Terrorismus ist milit”risch nicht zu besiegen, wir m¸ssen an den Ursachen ansetzen! Die Union setzt sich zum Beispiel f¸r mehr Entwicklungshilfe ein Ö

Becker: Wir bekommen von Leuten wie Schily die Allianz gegen den Terrorismus aufgedr¸ckt! Wir haben die Chance nicht ergriffen, die Kultur der friedlichen Konfliktl–sung, diesen unglaublich positiven europ”ischen Entwurf, mit der richtigen Konsequenz voran zu bringen.

Sehen Sie die Europ”ische Sicherheitsstrategie von Solana auch als einseitig an?

Becker: Solana sagt ja selber, dass die zivile Konfliktbearbeitung immer zu sp”t kommt, dass die zivilen Helfer hinterher reingehen, um die Schlachtfelder aufzur”umen. Das hat er sehr gut erkannt.

Herr Becker, dann kommen wir jetzt mal zum Verfassungstext. Ialana sagt, es sei v–llig legitim, die Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf zu verweigern und von inhaltlichen Ÿnderungen bei der Auþen- und Sicherheitspolitik abh”ngig zu machen. Was sollten das denn f¸r inhaltliche Ÿnderungen sein?

Becker: Wir haben mehrere Forderungen im Verfassungskonvent gestellt: "Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten verpflichten sich zur Bewahrung und F–rderung des Friedens."

Beer: Steht drin!

Becker: "Wir verurteilen den Einsatz von Gewalt als Mittel zur L–sung internationaler Streitf”lle." Das ist V–lkerrecht! Im Konvent war es dennoch nicht konsensf”hig! Sogar Abgeordnete, die dieser Position nahe stehen, hielten es f¸r aussichtslos, das reinzubekommen. Schade! Der dritte Punkt war: "Der Einsatz milit”rischer Gewalt ist nur nach vorheriger Feststellung der rechtlichen Unbedenklichkeit in einem geeigneten Verfahren zul”ssig."

Wir wollten nach den Erfahrungen im Irak erreichen, dass eine rechtliche Barriere eingebaut wird. Fehlanzeige! Die Nationalstaaten lassen sich diese Entscheidungsm–glichkeit nicht aus der Hand nehmen. Und was steht stattdessen drin? Die Verteidigungsagentur!

Beer: F¸r mich ist die Verfassung eine Werteverfassung. Die Verteidigungsagentur oder die so genannte Aufr¸stungsverpflichtung geh–ren da nicht rein. Wenn die Verfassung in Kraft ist, kann ich ein B¸rgerbegehren anstreben und daf¸r sorgen, dass verfassungsrechtlicher Unsinn wieder rauskommt. Aber aus solcher Kritik im Detail kann ich doch nicht die ganze Verfassung ablehnen, verhindern, dass die Charta der Grundrechte rechtsverpflichtend f¸r die Europ”ische Union wird. Damit vergebe ich mir doch unendliche Chancen, europ”ische Friedenspolitik mitzugestalten.

Und noch mal zur¸ck zur Verteidigungsagentur: Ich will sie nicht in der Verfassung haben, aber als Instrument kann sie positiv wirken. Wenn Deutschland das Raketenabwehrsystem Meads aus der Planungsphase des Kalten Krieges jetzt mit den USA und Italien zusammen verabschiedet, ist das sicherheitspolitisch irrelevant, ein finanzieller Amoklauf - dieser Unsinn w”re mit einer funktionsf”higen Verteidigungsagentur schlichtweg nicht mehr m–glich.

Wie stehen Sie zum Vorwurf von Ialana , Artikel I-41 enthalte ein Aufr¸stungsgebot? ("Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre milit”rischen F”higkeiten schrittweise zu verbessern.")

Beer: Ich hab mir die erste milit”rpolizeiliche Mission der EU in Bosnien gerade angeguckt. Solange die Krise nicht wieder aufflammt, klappt das wunderbar. Doch weder die Funktionsf”higkeit noch die Kommunikation ist da sichergestellt. Ich bin f¸r eine Harmonisierung der europ”ischen Streitkr”fte. Wo sie politisch gewollt zum Einsatz kommen, m¸ssen sie arbeitsf”hig und kommunikationsf”hig sein. Deshalb bin ich daf¸r, die milit”rischen F”higkeiten auf europ”ischer Ebene auszubauen.

Frau Beer, Sie haben deutlich den Zusammenhang hergestellt: Nur die Verfassung verhindert ein Kerneuropa, eine Koalition der Willigen in Verteidigungsfragen. Doch die strukturierte Zusammenarbeit in der Auþen- und Sicherheitspolitik wird durch die neue Verfassung doch gerade enorm erleichtert!

Beer: Es ist ein Unterschied, ob sich Regierungen unkontrolliert zu einem Kerneuropa zusammenschlieþen oder ob das im institutionellen Rahmen der EU stattfindet - also auch mit Konsultationspflichten gegen¸ber den anderen Mitgliedstaaten und dem EP. Ich k–nnte mir vorstellen, dass man einen Rat der Parlamente einrichtet, wo sich die nationalen Parlamente und das EP regelm”þig abstimmen. Der Bundestag ist doch bislang fast genauso wenig an der europ”ischen Auþen- und Sicherheitspolitik interessiert wie die Friedensbewegung. In Deutschland ist derzeit eine enorme Renationalisierung zu beobachten - nehmen Sie die Forderung nach dem deutschen Veto im Sicherheitsrat Ö gegen solche Alleing”nge k–nnte ein Rat der Parlamente ein Regulativ bilden.

Herr Becker, Ialana sagt, dass im Bereich der Sicherheitspolitik k¸nftig weder eine gerichtliche noch eine parlamentarische Kontrolle stattfindet. Was ist mit dem deutschen Parlamentsvorbehalt? Wird der nicht durch das neue Parlamentsbeteiligungsgesetz gest”rkt?

Becker: Es gibt keine Mitentscheidung des europ”ischen Parlaments und auch nicht des Europ”ischen Gerichtshofs bei der ESVP. Nat¸rlich muss weiterhin der Bundestag zustimmen. Aber mittelfristig soll der Ministerrat mit Mehrheit ¸ber solche Eins”tze entscheiden k–nnen. Da entsteht doch im Bundestag ein unglaublicher Anpassungsdruck, sich dem nicht zu verweigern.

Beer: Selbst unter einer schwarz-gelben Bundesregierung wird dieser Parlamentsvorbehalt nicht angetastet werden. Frau Merkel h”tte die Amerikaner unterst¸tzt beim Pr”ventivschlag gegen den Irak, aber h”tte der Bundestag mitgemacht? Ich bin ¸berzeugt, er h”tte den Einsatz abgelehnt.

 

PETER BECKER ist Rechtsanwalt und Vorsitzender von Ialana Deutschland. Ialana ist eine ¸berparteiliche internationale Organisation von Juristen, die sich f¸r gewaltfreie Konfliktl–sungen engagiert.

ANGELIKA BEER ist gr¸ne Expertin f¸r Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Von 1994-2002 war sie verteidigungspolitische Sprecherin der Gr¸nen im Bundestag. Seit 2004 ist sie Abgeordnete im Europaparlament.

taz Nr. 7674 vom 27.5.2005

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Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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