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Angelika Beer
MdEP

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Fact-Finding-Mission in den Kosovo

Wien und Kosovo, 03.-06.10.2006

Vom 3.-6. Oktober war Angelika Beer mit einer Delegation der NATO PV in Wien und im Kosovo. Die Delegation der NATO-PV traf im Rahmen ihrer Fact-Finding-Mission u.a. mit dem UN-Son- derbeauftragten für das Kosovo, Martti Ahtisaari, UNMIK-Chef Joachim Rücker, dem Chef der OSZE Kosovo-Mission, Werner Wnendt, KFOR-Vertretern, Premierminister Agim Ceku, Parlamentspräsidenten Kolˆ´ Berisha, Parlamentariern aller ethnischer Gruppen, Vertretern beider Gruppen in Mitrovica und Repräsentanten der Kontaktgruppe (GER, F, IT, USA, RUS, GB) zusammen. Die Delegation kam zu einem entscheidenden Moment im Kosovo an: Soeben hatte der Sonderbeauftragte der UN, Martti Ahtissari verkündet, dass es eine mögliche Verschiebung des Zeitplans zur Klärung der Statusfrage des Kosovos wegen der vorgezogenen Wahlen in Serbien geben werde. Dieser Vorstoß wurde vom Hohen Repräsentanten Javier Solana bestätigt.

Status

vor dem Hintergrund der Äußerungen Ahtissaris war die Frage des Zeitplans des weiteren Vorgehens der internationalen Gemeinschaft in der Statusfrage das beherrschende Thema. Noch wenige Stunden vor dessen Äußerungen traf die Delegation mit Ahtissari und dessen Stellvertreter Rohan im UNOSEK-Büro in Wien zusammen. Bei dem Treffen bekräftigte Ahtissari die Einheit der Kontaktgruppe in der Frage des Zeitplans und der Lösung noch im Jahr 2006, deutete aber schon an, dass durch die Ankündigungen von vorgezogenen Neuwahlen und einem Referendum zur Verfassung in Serbien ein neuer Faktor ins Spiel gekommen wäre. Mit Blick auf die von Ahtissari und seinem UNOSEK-Team geleiteten acht Verhandlungsrunden mit Vertretern von Serben und Kosovo-Albanern wurde deutlich, dass nicht einmal partielle Einigungen zwischen beiden Seiten erreicht worden waren. Wohl hätte sich die Kosovo-Albansiche Seite auf die UNOSEK zubewegt, jedoch nicht die Serben, die ausschließlich von Belgrad und nicht von den im Kosovo Verbliebenen vetreten wurden. Damit wären einvernehmliche Lösungen in der Statusfrage hinfällig. Die Kontaktgruppe müsse nun qua UNSR-Resolution die Statusfrage beiden Seiten aufoktroyieren.

Nach Ahtisaari Erklärung zur möglichen Verschiebung der Statusklärung herrschte bei unserem Eintreffen im Kosovo Wut und Enttäuschung. In der Wahrnehmung der Kosovaren hatte Ahtissari und somit die Kontaktgruppe ohne Not die Entscheidung über den Zeitplan und somit über die Zukunft des Kosovo an Belgrad weitergegeben. Bei den folgenden Treffen mit den Chefs von UNMIK und OSZE wurde nochmal deutlich, wie drängend eine baldige Lösung der Statusfrage ist: Nur mit einem aufgewerteten Status könne der Kosovo die dringend benötigten Finanzhilfen und Expertise vom Internationalen Währungsfond, der Weltbank und der EU empfangen.

Die Treffen mit der provisorischen Regierung und Parlamentsvertretern des Kosovos waren vor diesem Hintergrund besonders bewegt. Sämtliche Vertreter machten klar, dass sie das "expectations management" ¬ñ die Steuerung der Erwartungen in der Bevölkerung aus der Hand verlieren würden, wenn es zu weiteren Verzögerungen kommen würde. Es ginge bei der Frage des Zeitplans um die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft. Sie habe den Kosovaren eine Lösung im Jahr 2006 versprochen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vor diesem Hintergrund war das Zusammentreffen der Delegation mit den Vertretern der Kontaktgruppe an hohe Erwartungen geknüpft: Würden sie deutlich machen können, dass sie das Heft des Handelns in der Hand hielten, dass sie einen Plan für die Klärung der Statusfrage haben? Das Treffen hinterließ jedoch bei allen Delegationsteilnehmern Bestürzung. Nur der Russische Vertreter präsentierte einen Plan: Russland würde einer Statuslösung im UN-Sicherheitsrat nur zustimmen, wenn Serben und Albaner eine solche Lösung unterschreiben. Ansonsten würde Russland mit Blick auf eigene Probleme in Ostossetien und Abchasien (Georgien) sein Veto einlegen. Da allgemein bekannt ist, dass kein Serbe bereit ist ein Dokument über die Unabhängigkeit Kosovos zu unterschreiben, ist dies ein Plan, der in eine Sackgasse führt und nur dazu führen kann, dass der Status Quo zementiert bleibt. Auf die Position Russlands erfolgte von den anderen Mitgliedern der Kontaktgruppe kein Gegen- oder Kompromissvorschlag. Damit bleibt völlig offen, wie es im höchsten Gremium ohne die nötige Einheit weiter gehen soll. Eine bilaterale Anerkennung durch einzelne Staaten wäre die einzige Alternative, die sich abzeichnet, aber sie birgt große Gefahren bezüglich der regionalen und internationalen Stabilität.

Sicherheit

Die Frage der Sicherheit war natürlich gerade vor dem Hintergrund der Unklarheiten der Statuslösung von besonderer Bedeutung. Alle zuständigen Gesprächspartner bestätigten, dass zur Zeit Ruhe herrsche, sich dies aber innerhalb kürzester Zeit ändern könne. Seit dem August habe es mehrere Anschläge gerade im Nord-Kosovo gegeben. Auch sei es im Anschluss zu Demonstrationen gekommen. Kopfzerbrechen bereitet den internationalen Sicherheitskräften auch der Streit innerhalb Partei des verstorbenen Ibrahim Rugova, LDK, da mittlerweile Kontrahenten sich gegenseitig mit Autobomben aus dem Weg räumen würden.

Die entscheidende Frage aber wäre die Statusklärung, die aus Sicherheitsgründen so bald wie möglich erfolgen müsse. Zumindest müsse ein hochrangiger Vertreter wie Ahtissari den Kosovaren in aller Klarheit erklären, wann und wie es zur Lösung der Frage komme. Ein weiterer Winter im Kosovo, mit ständigen Stromabschaltungen aufgrund des Energiemangels und einer ungewissen politischen Zukunft wurde sehr leicht zu Gewaltausbrüchen im Frühjahr 2007 führen. Damit verbunden stellen die Wahlen für das serbische Parlament und besonders das Referendum zur Änderung der serbischen Verfassung einen wichtigen Testlauf dar, was die Sicherheit angeht. Es wird sich beim Referendum Ende Oktober noch zeigen müssen, ob die Kosovo-Albaner die Vertreter Serbiens mit Wahlurnen von Enklave zu Enklave ziehen lassen werden. Ein friedlicher Ablauf würde aber umso unwahrscheinlicher, je länger der Zeitplan der Statusklärung offen bleibt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Deswegen waren auch die Vorkehrungen gegen mögliche Unruhen Thema der Gespräche. Dabei gab sich die KFOR gut gewappnet für alle Eventualitäten. Sie würde aber in der dritten Reihe stehen. Wenn es zu Unruhen kommt, würde zunächst die Kosovo-Polizei zum Einsatz kommen, dann die internationale Polizei und schließlich die KFOR. Überdies würde man ständig via TV und Radio sein Handeln und seine Absichten allen Bevölkerungsteilen erklären. Im Nord-Kosovo hätte man angesichts der zunehmenden Spannung wieder eine Einheit stationiert.

UN, OSZE und UNOSEK-Experten erklärten, dass die Kosovo-Polizei trotz Verwicklungen in Clan-Strukturen mittlerweile gut funktioniere. Das Problem in Bereich Innerer Sicherheit sei vielmehr fehlende Richter auf niedrigem und mittlerer Ebene, sowie gut ausgebildete Staatsanwälte.

Minderheiten

Die Statusfrage ist eng mit der Frage des Zusammenlebens der Minderheiten mit der Kosovo-Albanischen Mehrheit verbunden. Aus den Gesprächen mit Vertreten aller Volksgruppen ging jedoch hervor, dass es in der Frage des Zusammenlebens und auch der Aussöhnung sehr wenig Fortschritt gibt. Auch hier wird auf die Lösung der Status-Frage verwiesen. Insbesondere erscheint die Situation der Roma sehr problematisch. Mittlerweile würden sie fluchtartig nach Mazedonien ziehen. In Süd-Mitrovica hat man ihnen ein Hochhaus gebaut.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Frage der Minderheiten ist auch eng verknüpft mit der Frage der Dezentralisierung - d.h. der Gemeindereform, die durch die Statusfrage ins Stocken geraten ist. Knackpunkt sind Forderungen der Serben nach 14 zusätzlichen serbischen Gemeinden. Die Kosovo-Albaner wollen ihnen 4 zugestehen. Die hohe Zahl, die von serbischer Seite gefordert wird, hinge wohl auch damit zusammen, dass sie eine Gemeinde um jedes serbisch-orthodoxe religiöse Gebäude wollen.

Die serbische Minderheit hat erwartungsgemäß in den Gesprächen auf ihre prekäre Sicherheitslage, die Anschläge der letzen Zeit verwiesen. Allerdings wurde deutlich, dass es auch lokale Unterschiede der Sicherheitslage gibt. Teilweise leben die Bewohner der serbischen Enklaven im Süden des Kosovo friedlicher mit ihren Nachbarn zusammen als im Norden. Auch haben nicht alle Kosovo-Serben die Wahlen und das Kosovo-Parlament boykottiert, so wie es von Belgrad oft dargestellt wird. Manche Serben haben sich sogar dafür ausgesprochen, dass der Norden direkt aus Pristina und nicht aus Serbien finanziert wird.

 

 

 

 

 

 

 

 


Im Norden wäre die Spannung nach Anschlägen von Albanern auf Serben wieder gestiegen. Man hätte wegen Demonstrationen die symbolträchtige Brücke über den Ibar im Herzen der Stadt schließen müssen. Die KFOR hat jedoch darauf hingewiesen, dass in Zukunft die Brücke nur im Notfall wieder geschlossen werden soll: Sie müsse ein positives Symbol für die Bewegungsfreiheit werden.

Ausblick

Alles schaut auf Ahtissari und die Kontaktgruppe. Doch dort scheint es keinen Plan B für den jetzt eingetretenen Fall des russischen (und chinesischen) Widerstands zu geben. Alle verweisen blauäugig auf die Statusklärung: Sie würde Direktinvestitionen bringen, Mittel der internationalen Finanzinstitutionen die die Wirtschaft gesunden lassen würden, damit das Arbeitsmarktproblem und somit auch die Sicherheitsprobleme lösen würde. Also angesichts der russischen Position eine Quadratur des Kreises.

Wie es auch kommen wird, klar ist, dass die KFOR mit ausreichend Kräften bleiben muss. Darüber hinaus zeichnen sich die zukünftigen Aktivitäten der EU im Kosovo ab. Bei Gesprächen mit dem EU Planning Team for Kosovo ist klar geworden, dass die EU nicht die UNMIK-Funktionen übernehmen wird. Sie wird jedoch einen für den Bereich Rechtsstaatlichkeit (Rule of Law) im neuen "International Civilian Office" zuständig sein und unter anderem mit einer robusten ESVP-Polizeimission und ca. 1000 Polizisten und Beamten vor Ort sein.

Politisch gravierend bei dieser an für sich sinnvollen Aufgabe ist jedoch, dass die Europäische Kommission anscheinend keinen genauen Plan hat, wie es mit dem Kosovo weitergehen soll. Denn nach wie vor gilt die EU-Perspektive des Thessaloniki-Gipfels auch für den Kosovo. Und die Menschen dort brauchen einen klaren Plan, wie sie dorthin kommen. Aber wie das angesichts der Tatsache zu lösen ist, dass der Kosovo auf längere Zeit hinaus kein vollständig souveräner Staat ist, bleibt unklar. Die in der EU entfachte Debatte um einen Erweiterungsstopp nach dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien nimmt den Menschen im Kosovo die letzte Zukunftsperspektive, die sie sicher zu haben geglaubt hatten.

Die politischen Entscheidungen auf der internationaler sowie EU-Ebene erscheinen somit zersplittert: Jeder Akteur der internationalen Gemeinschaft entscheidet nur für sein spezielles Problemfeld, keiner hat den Überblick. Dies wird umso wichtiger, als auch Bosniens und Serbiens Platz in der europäischen Familie noch nicht geklärt ist. Was als Gesamteindruck von der Fact-Finding-Mission im Kosovo und in Wien bleibt ist der Eindruck, dass Albaner und Serben möglicherweise eine Lösung akzeptieren würden, wenn sie denn bald kommt, die internationale Gemeinschaft sich jedoch in "organisierter Verantwortungslosigkeit" übt.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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