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Angelika Beer
MdEP

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Grünen-Delegation im Libanon

Libanon, im Dezember 2006

von Angelika Beer MdEP

Die EU hatte sich während des Israelisch-libanesischen Krieges im Sommer 2006 wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Die EU Außenminister waren nicht in der Lage, sich auf die gemeinsame Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und Kriegsende auszusprechen. Die Amerikaner und Israel verteidigten die fortdauernden Luftangriffe der israelischen Luftwaffe mit der Begründung, es wäre wünschenswert, wenn vor einem solchen Waffenstillstand die Hisbollah-Stellungen vernichtet wären. Stattdessen wurden zivile Ziele ins Visier genommen, Ölraffinerien bombardiert, und Menschen in die Flucht gejagt. Flughafen und Seeblockade, der Einsatz von Streubomben und Phosphor ¬ñ alles wurde weitestgehend toleriert. Auch von der deutschen Bundesregierung wurde die israelisch-amerikanische Linie unterstützt. Der Angriff auf Cana, bei dem ausschließlich Kinder und Frauen ermordet wurden, brachte dann ¬ñ endlich ¬ñ das Fass zum Überlaufen. Ein Waffenstillstand wurde erzwungen.

Das Europaparlament hat während des Krieges kaum eine Rolle gespielt. Nicht nur weil Sommerpause war, sondern weil das EP in außenpolitischen Fragen keine Entscheidungsrechte hat. In der ersten Sitzung des AFET nach Ende der Parlamentsferien und des Krieges positionierte sich weitaus kritischer als manch europäischer oder deutscher Regierungsvertreter. Auf Initiative der Grünen/EFA wurde in einer Parlamentsresolution ausdrücklich der Einsatz von Streubomben und Phosphor verurteilt und eine internationale Ächtung verlangt. Ebenso wurde beschlossen, eine ad hoc Delegation in den Libanon, Syrien sowie Gaza und Israel zu schicken. Diese interfraktionelle Delegation wurde mehrmals terminiert und aus unterschiedlichen Gründen kurzfristig wieder abgesagt. Am Ende blieb nur noch eine zweitägige Delegation nach Israel/Gaza übrig.

Vor diesem Hintergrund beschlossen die GRÜNEN/EFA, eine eigene Fact-Finding-Mission in den Libanon und Syrien zu schicken. Am 14. 12. flogen Magrete Auken (Dänemark), Helene Flautre (Frankreich), David Hammerstein (Spanien), Pierre Jonckheer (Belgien) und ich zusammen mit unseren Fraktionsmitarbeitern Mychelle Rieu und Paolo Bergamaschi nach Beirut.

Roundtable discussion dinner on „Lebanon at the crossroads“

Am ersten Abend hatten wir dank eines von der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut organisierten Runden Tisches die Möglichkeit, einen Eindruck von der im Vergleich zu anderen arabischen Staaten sehr lebendigen Zivilgesellschaft des Libanons und den unterschiedlichen Positionen zu bekommen. Mit Wissenschaftlern, Menschenrechtsorganisationen und Demokratieinitiativen diskutierten wir u.a. die Rolle der Hisbollah und die Chancen für die Durchsetzung neuer Wahlgesetze. In der sehr beeindruckend offenen Diskussion wurde immer wieder der Bestrafungscharakter des Krieges, die Trennung von Nord und Süd und die de facto nicht existente Regierung problematisiert.

UNIFIL

In einem umfassenden Briefing durch die UNIFIL wurde uns die praktische Umsetzung des UN Mandates dargelegt. Die UNIFIL sei im Libanon akzeptiert. Da die Entwaffnung der Hisbollah nicht zu ihrem Mandat gehört, seien sie von allen ¬ñ von Hisbollah und libanesischer Armee akzeptiert. In der Zusammenarbeit mit der libanesischen Armee gäbe es keinerlei Probleme.
Das Briefing über den von Deutschland geführten Marineeinsatz vor Libanons Küste stand im Widerspruch zu dem, was wir von weiten Teilen unserer anderen Gesprächspartner zu hören bekamen. Da fielen Sätze wie ¬ÑAch, sie meinen die, die da draußen schwimmen¬ì etc. Auf Nachfrage räumte der UNIFIL-Beauftragte ein, dass sie sich im Klaren darüber seien, dass ein Sturz der Regierung Sinora in der Konsequenz bedeute, dass der UNIFIL Einsatz seine Rechtsgrundlage verliere. Theoretisch sei man auf eine solche Situation natürlich vorbereitet.

ECHO Mines Advisary Group

Im Rahmen unserer Fact-Finding-Mission konnten wir uns ein Bild von der alltäglichen Arbeit der Mines Advisary Group (MAG) im Südlibanon machen. Die MAG war schon vor dem Krieg im Libanon, sie hat nach dem Krieg ihre Strukturen im Süden erweitert und ist eine der wichtigsten Minenräumorganisationen, die von ECHO (EU) finanziert werden. Im Gelände wurde uns demonstriert, welche fatale Auswirkung die flächendeckende Verlegung von Streubomben in der Region hat. Von mehreren Seiten wurde uns bestätigt, dass die meisten der israelischen Streubomben während der letzten Tage verschossen wurden - mit dem strategischen Ziel Erntegebiete, Obstanlagen etc. für Jahre unbrauchbar zu machen. Die MAG-Leute berichteten, dass ihnen bis heute keine Einsatzpläne des israelischen Militärs zur Verfügung stehen. Aufgeworfen wurde auch die Frage der zukünftigen Mehrjahresprogramme zur Minenräumung unter den neuen EU-Außenpolitikinstrumenten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Der Bürgermeister von Cana

Wie die Chancen zur Versöhnung stehen verdeutlichte ein Treffen mit dem Bürgermeister von Cana und weiterer Bürgermeister aus der umliegenden Region. In Cana waren bei israelischen Angriffen über 60 Personen ums Leben gekommen. Auf die Frage nach den Möglichkeiten eines Friedensprozesses kamen offene klare Antworten: ¬ÑWie sollen wir uns mit Israel versöhnen oder Frieden haben, nachdem sie unsere Frauen und Kinder ermordet haben?¬ì Wir konnten keine Antwort darauf geben. Fotos wurden uns gezeigt ¬ñ mit allen Grausamkeiten eines Krieges, der Zivilisten gezielt ins Visier nimmt. Hilfe bekamen die Menschen aus CANA nicht. Die Verbindungsstraßen in die größeren Städte im Norden Libanons waren alle bombardiert. Es gab kein Krankenhaus in der Nähe. Sie alle berichteten von dem Gefühl der kollektiven Bestrafung. Warum sollten sie gegen die Hisbollah sein? Der Staat Libanon existiere doch gar nicht, habe sich nie um den Süden gekümmert, sei eines der korruptesten Systeme die heute noch existieren. Und noch ein Satz ¬ñ diesmal aus Deutschland ¬ñ wurde uns permanent vorgehalten. Es sei doch die Deutsche Bundeskanzlerin gewesen, die gesagt hat, man schicke Bundeswehrsoldaten in den Libanon, um Israel zu unterstützen.

Eindrücke aus der Autofahrt

Noch heute ist die Autofahrt vom Norden in den Süden beschwerlich. Auf allen wichtigen Straßen sind tiefe Krater, die zwingen, in großen Bögen durch das Gelände zu fahren. Es gibt Aussagen, dass die libanesische Regierung Hilfsanträge mit absurd hohen Kosten zur Reparatur an die internationale Gemeinschaft gerichtet habe - mit der Folge, dass bis heute noch nichts geschehen sei. So richtig glauben kann im zerstörten Süden niemand, dass die Regierung Sinora diese Politik ändern wird. Die Betroffenen im Süden fragen zu recht: Bisher ist keine Hilfe angekommen. Wird die Internationale Gemeinschaft denn der nächsten Geberkonferenz am 25.01.2007 sicherstellen, dass Kontrollmechanismen eingeführt werden, damit der Süden endlich auch berücksichtigt wird.

Treffen mit EU-Botschafter

Der EU-Botschafter im Libanon erläuterte uns bei unserem Zusammentreffen die Lage im Libanon und die Rolle Syriens. Er verwies darauf, dass anders als in den westlichen Medien der 2005 ermordete Premierminister Rafik Hariri auch im Libanon umstritten war und viele Feinde hatte. Als größte Herausforderung für den Libanon nannte er die Einigung des Landes.
Beim anschließenden Treffen mit zwei Abgeordneten ¬ñ einem christlichen und einem muslimischen, einem Oppositionellen und einem Regierungstreuen ¬ñ wurde deutlich, dass der Libanon derzeit das Land ist, in dem alle Konfliktlinien des Nahen Osten offen aufeinander treffen. Dieses vielfältige Auseinanderbrechen der Gesellschaft ist eine Entwicklung, die auch auf die Nachbarstaaten übergreifen könnte. Die beiden Abgeordneten zeigten sich jedoch überzeugt davon, dass es keinen Willen gäbe, das Land in weiteren Bürgerkrieg zu zerren. Alle Parteien hätten ihre Lehren aus der Vergangenheit gezogen.

Treffen mit Vertreternaller Parteien

Vergleichsweise moderat verlief auch der gemeinsame Gesprächstermin mit Vertretern aller im Parlament vertretenen Parteien. Anders als auf der Straße war die Atmosphäre vergleichsweise entspannt und die gegenseitigen Verurteilungen wurden relativ zivilisiert vorgebracht. Der Vertreter der Hisbollah beschränkte sich auf das Zuhören, mischte sich nicht ein und verließ das Treffen vorzeitig. Die Demonstrationen im Regierungsviertel waren dann auch der Grund, warum ein Treffen mit Regierungsvertretern kurzfristig abgesagt wurde.

Politische Schlussfolgerungen:

• UNIFIL kann bestenfalls den Waffenstillstand sichern, aber nicht den Frieden bringen.
Die Scharzweißmalerei - Hisbollah schlecht, Sinora gut -, die Differenzierung in ein pro-syrisches und anti-syrisches Lager dient vielleicht der Aufrechterhaltung des internationalen Feindbildes, entspricht aber nicht der realen Situation.
• Der Libanon hat faktisch keine Regierung und keine gesamtstaatlichen Strukturen. Die Regierung Sinora ist so korrupt und kriminell wie kaum eine andere.
¬ï Nachdem bei der Geberkonferenz in Paris Krediten und Hilfsprogrammen in Höhe von 5,84 Milliarden Euro (40 Prozent davon von der EU und ihren Mitgliedstaaten) beschlossen wurden, muss dringend sichergestellt werden, dass das Geld nicht weiter versandet.
¬ï Die finanzielle Unterstützung der im Libanon aktiven NROs wie MAG im Kampf gegen Streubomben muss überprüft und so überarbeitet werden, dass die Projekte auf mehrere Jahre finanziert werden.
¬ï Die EU muss unter deutscher Präsidentschaft eine Initiative zur Ächtung der Herstellung, des Exports und der Anwendung von Streubomben auf den Weg bringen
• Im Rahmen des Nahostkonflikts muss mit allen geredet werden- auch mit Hamas, Hisbollah, Syrien und Iran. Eine Nahost-Friedenskonferenz wird sonst zum Scheitern verurteilt sein.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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