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Angelika Beer
MdEP

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5. Sicherheitspolitisches Forum 2008 im Haus Rissen "Zivilmilitärische Zusammenarbeit in Krisenregionen"

06.10.08

Beim 5. Sicherheitspolitischen Forum im Haus Rissen sprach Angelika Beer auf dem 1. Podium über "Aktuelle Krisenregionen und ihr sicherheitspolitischen Folgen für dir Bundesrepublik Deutschland":

- es gilt das gesprochene Wort -

1. Alte und neue Krisen - wo wird die Sicherheit verteidigt?

"Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt". Wenn dies nicht gelingt, heißt es dann im Umkehrschluss, dass Unsicherheit nach Deutschland kommt?
Der Satz von Peter Struck bringt auf den Punkt, was wir uns in einer globalisierten Welt nicht länger vorgaukeln dürfen: geographische Distanz ist kein Indiz mehr für Nicht-Betroffensein. Das heißt, wo eine Krise stattfindet, spielt keine Rolle mehr. Für zukünftige Szenarien ist damit alles offen, vom Polarmeer angefangen bis hin zum - wer weiß - Weltall. Über die Auswirkungen können wir nur spekulieren.
Anstatt neue Zukunftsszenarien an die Wand zu werfen, bringt ein Blick auf bestehende Konflikte allerdings ganz andere Fragen hervor. Die Liste wird nicht kürzer sondern länger. Das Engagement weltweit nimmt zu - wird aber nicht besser.

Afghanistan: heute so aktuell wie vor 7 Jahren
Balkan: seit den 90er Jahren im Fokus europäischer Außenpolitik
Kosovo: größte ESVP-Mission in Planung
Irak: Beispiel für kolossales Scheitern einer militärischen Intervention
Georgien: alles andere als ein "frozen conflict“
Sudan: grausames Beispiel für Nichtbeachtung

Keiner dieser Konflikte ist "neu", sie offenbaren vielmehr eine entscheidende Lücke: wir sind strategielos was den Umgang mit modernen Krisen angeht. Die Dauer und Durchführung des weltweiten Engagements deutet darauf hin, dass wir nicht wissen, bzw. nicht erklären können warum wir uns, mit welchen Mitteln, zu welchem Zweck einmischen.

Hier bedarf es einer ehrlichen Debatte. Und diese Debatte muss auch öffentlich geführt werden. Bürgerinnen und Bürgern, denen nicht erklärt werden kann, warum SoldatInnen und PolizistInnen im Ausland eingesetzt werden, werden dieses Engagement nicht gutheißen. Die Probleme potenzieren sich, wenn - wie in jedem Einsatz - auch Tote zu beklagen sind.


2. Gedanken zur Strategie

Wenn wir uns einig sind, dass Deutschland multilateral eingebunden ist und wir nur in diesen Bündnissen mit unseren Partnern dazu beitragen können, dass die Welt an sich friedlicher und stabiler wird, dann möchte ich die Aufmerksamkeit weg von sicherheitspolitischen Folgen für Deutschland hin zu ein paar grundsätzlichen Überlegungen lenken.

Die oben genannten Einsätze zeichnen sich mittlerweile alle durch ihre Dauer aus. Wir wissen zwar, dass "nation-building" und andere lohnenswerte Ziele keine Angelegenheit sind, die über Nacht zustande kommen. Dennoch scheint es nicht nur die Öffentlichkeit sondern auch einige Entscheidungsträger zu überraschen, wie lange das Engagement in einigen Regionen mittlerweile anhält. Kalenderdaten, wie etwa Weihnachten, eignen sich als Markierungsgröße nur bedingt. Im Falle des Kongo-Einsatzes zur Absicherung der Wahlen wird der fristgerechte Abzug als Erfolg gefeiert, jedoch ist dieser Maßstab fraglich.
Andere Ziele wie Demokratisierung und Rechtstaatlichkeit lassen viel Spielraum und - was gefährlicher ist - verwässern die Begrifflichkeiten.
Grundsätzlich muss klar sein, was das Ziel sein soll und es helfen keine unrealistischen Wunschvorstellungen.
Stattdessen hilft:

 ein realistisches Mandat. Überambitionierte oder schwammige Ziele verursachen Frustration und Vertrauensverlust sowohl auf Seiten der betroffenen Bevölkerung als auch der internationalen Akteure. Eine Exitstrategie bedeutet nicht, das Engagement von vornherein auf einen kurzen Zeitraum zu begrenzen, sondern sich über die eigenen Einflussmöglichkeiten klar sein. Ziel und Auftrag müssen klar sein. Sie geben vor, welche Mittel benötigt werden. Diese Komponenten müssen im Einklang miteinander sein.

 keine Blaupause für alle Einsätze: mehr Länder- und Regionalexpertise muss vor einem Einsatz herangezogen werden. Ist eine Zentralregierung wirklich die beste Staatsform für ein zersplittertes Land wie Afghanistan? Wo waren die Experten, die heute sagen, eine föderale Ordnung mit starken Stammesfürsten hätte mehr Aussicht auf Erfolg, weil es dem traditionellen Verständnis von Staat eher entgegenkommt? Wie lauten funktionierende Alternativen zu unserem westlichen Staatsverständnis? Welche Auswirkung hat das Eingreifen in einem Land auf die Region? Georgien als Einzelfall zu behandeln ist verkehrt, die ganze Region wird dadurch geprägt werden, wie die internationale Gemeinschaft den Konflikt in Georgien regeln wird.

 Verhandlungspartner vor Ort benennen. Mit wem kann und will man vor Ort zusammenarbeiten? Es kann nicht sein, dass die, die am lautesten schreien und sich am schnellsten organisiert haben (alte Machenschaften, korrupte Eliten) die Kooperationspartner der internationalen NGO¬¥s und anderer Akteure sind. Auch Warlords wird gern die Bühne bereitet, weil man von ihrer Kooperation ein Ende der Gewalthandlungen erhofft. Im Sudan führt es dazu, dass die Rebellengruppen sich heillos zersplittern, weil nur der mit der größten (und brutalsten) Gewaltdemonstration die Aufmerksamkeit der westlichen Medien erreicht und als Verhandlungspartner eingeladen wird. Kaum Beachtung finden die zivilen Netzwerke, die während eines Konflikts für die Aufrechterhaltung von Handel und Austausch sorgen. Meist sind dies Frauen! Sie finden am Verhandlungstisch überhaupt kein Gehör. Dabei könnte mit ihnen der Wiederaufbau unter Umständen schneller und gezielter stattfinden.


Nicht immer sind alle Folgen und Konsequenzen eines Einsatzes von vornherein absehbar. Das gilt insbesondere bei Einsatzzeiten von Jahren und Jahrzehnten. Für solche Fälle muss eine Kurskorrektur möglich sein. Afghanistan ist das auffälligste Beispiel. Die Debatte läuft in Deutschland unter dem Titel "Strategiewechsel". Er wird nun schon seit Jahren gefordert. Alle Seiten betonen die Notwendigkeit. Nicht nur die NGO¬¥s vor Ort, sondern das Militär selber. Dieses Eingestehen von Fehlentwicklungen muss erlaubt und möglich sein. Lessons-learned gilt nicht nur im Nachgang zu einer Mission, sondern auch mittendrin. Mit einem "weiter-so" ist niemandem gedient. Die Bundesregierung zieht in ihrem eigenen Strategiepapier weder die notwendigen Konsequenzen noch vertritt sie diese Haltung in den entsprechenden Gremien von Nato und EU.
Für die multilaterale Zusammenarbeit müssen die Partner offener miteinander sprechen können. Die künstliche, politische Trennung von OEF und ISAF in Afghanistan ist reine Augenwischerei und in der Realität längst aufgehoben. Darunter leidet der komplette Einsatz. Es muss möglich sein, Fehlentwicklungen dieser Art zu beenden.


All die oben aufgeführten Probleme würden uns nicht so auf den Nägeln brennen, wenn der Gedanke von Prävention wirklich in allen Politikfeldern verankert wäre. Krisenprävention ist keine ausschließliche Aufgabe von Diplomaten, Außen- oder Entwicklungspolitikern. Wirtschaftsexperten, Sozialpolitiker, Umwelt- und Agrarpolitiker, sie alle tragen Mitverantwortung. Wir brauchen einen umfassenden, ressortübergreifenden Ansatz. Dieser Gedanke hat sich noch nicht durchgesetzt. Der Ressortkreis zivile Krisenprävention im Auswärtigen Amt war ein guter Ansatz, er leidet aber unter der geringen Aufmerksamkeit, die ihm aus den anderen Ministerien zukommt. Er ist dabei, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Der dazugehörige Aktionsplan wird Freitag nachmittags im Bundestag diskutiert. Das macht deutlich, welchen geringen Stellenwert der Gedanke der Krisenprävention in Deutschland in der alltäglichen Politik hat. Niemand hat bisher versucht, den Aktionsplan über Deutschland hinaus auf der europäischen Ebene zu verankern.
Als Beispiel für ein politisches Mittel, das den Gedanken der Prävention stärker in allen Politikentscheidungen verankert, kann das vom Ost-West-Institut initiierte Parlamentariernetzwerk für Konfliktvermeidung und Menschlichen Sicherheit angeführt werden, das am 8.10. in Brüssel gestartet wird.


3. Ausblick
Im letzten Jahr erhielt der Hohe Beauftragte für Auswärtige Politik in der EU, Javier Solana, den Auftrag, die Europäische Sicherheitsstrategie zu überarbeiten. Aus der Überarbeitung ist mittlerweile nur noch eine Bearbeitung geworden. Ein grundsätzliches Aufschnüren des Pakets hätte wenig Aussicht auf Erfolg, wieder den Konsens aller 27 Mitglieder zu finden.
Dieser Rückzug ist nur unter dem Gesichtspunkt nicht so dramatisch, als dass viele der aktuellen Probleme bereits in der ESS enthalten sind. Und es wäre schon viel geholfen, wenn sich die Zuständigen an die bereits festgestellten Bedrohungen und deren Lösungsansätze halten würden. Abrüstung und Nonproliferation rangiert beispielsweise an zweiter Stelle der internationalen Bedrohungen. Die EU Mitglieder, die im Rahmen der Nuclear Suppliers Group dem Atomdeal zwischen Indien und den USA zugestimmt haben, haben sich damit in eine Politik der Doppelzüngigkeit begeben. Die Erlaubnis, ohne vertragliche Vorbedingungen Nukleartechnologie an den Atomwaffenstaat Indien zu liefern, ist ein Erdrutsch für das ohnehin geschwächte Nichtverbreitungsregime. Wenn Europa hier keine Kurskorrektur einleitet oder - wie das Friedensgutachten 2008 es fordert - als "Europäische Avantgarde" vorangeht, dann wird das negative Sicherheitsauswirkungen nicht nur auf Deutschland haben.
Die Grüne Fraktion im Europaparlament hat im Januar diesen Jahres eine eigene Sicherheitsstrategie formuliert. Mit ihr versuchen wir die öffentliche Debatte um die Überarbeitung der Europäischen Sicherheitsstrategie zu beeinflussen. Die ¬ÑGrüne Sicherheitsstrategie für Europa¬ì folgt dem Leitbild der ¬Ñhuman security¬ì und der ¬Ñresponsibility to protect¬ì. Die Forderungen gehen nicht nur in die Richtung einer besseren Verzahnung der Politikbereiche sondern auch einer konsequenteren Umsetzung. Die Strategie zählt klar die Bereiche auf, die zu einer konsequenten krisenpräventiven Politik zwangsläufig dazu gehören. Damit hat die Grüne Fraktion als erste Fraktion im EP einen Diskussionsbeitrag geliefert, um die öffentliche Debatte europaweit zu provozieren.
Der Fokus liegt ganz klar auf der Vermeidung von Krisen und z.B. der Implementierung des Europäischen Zivilen Friedenskorps. Das Stabilitätsinstrument hat bereits bedeutende Fortschritte in diese Richtung gemacht. Die Peacebuilding Partnership, wie sie im Zuge der Einführung des Stabilitätsinstruments geschaffen wurde, ist die am weitesten entwickelte Vorstufe eines Friedenskorps. Hier gibt es konkrete Ansatzpunkte, es fehlen nur noch letzte Umsetzungsschritte.
Auch der Lissabon-Vertrag hätte hierzu erhebliches beitragen können. Die zivile Krisenprävention wäre als ein Sieger aus der Zustimmung zum Vertrag herausgekommen. Rat und Kommission hätten nicht mehr nebeneinander geplant, sondern die entsprechende Expertise wäre zum neuen EU-Außenminister geflossen. Klarere Zuständigkeiten und geballtes Know-how: diese Stärken des neuen Vertrages wurden nicht kommuniziert.
Ebenso wenig wie die Stärkung der nationalen Parlamente. Der Parlamentsvorbehalt gerade bei Auslandseinsätzen hat sich in Deutschland bewährt. Diese Praxis findet nicht in allen EU-Mitgliedsländern statt. Trotzdem wollen wir sie fest auf EU-Ebene verankern. Auch hierfür brauchen wir eine kritische Öffentlichkeit.
Damit sind wir wieder am Anfang der heutigen Fragestellung. Die zukünftige Bedrohungslage ist komplex und die Probleme nicht schwarz-weiß. Ein besserer Mix aus Antworten wird daher in Zukunft erforderlich sein. Wenn wir aber aus bisherigem Engagement nicht lernen und weiterhin jede Konfliktbereitschaft mit unseren Partnern vermeiden, dann sind die sicherheitspolitischen Folgen hausgemacht.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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