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Angelika Beer
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EU-Spitzenpolitiker knöpfen sich Polen vor

15.06.2007

Der Konflikt um den EU-Verfassungsvertrag spitzt sich zu. Polen lehnt das System der doppelten Mehrheit bei EU-Abstimmungen weiterhin ab. Europapolitiker fordern Warschau eindringlich zum Einlenken auf.

Prominente Mitglieder des Europäischen Parlaments haben Polen aufgefordert, seine Veto-Drohung im Streit um die EU-Verfassung zurückzunehmen. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU), sagte der in Koblenz erscheinenden ¬´Rhein-Zeitung¬ª, Polen solle sich davor hüten, gegen seine eigene Interessenlage zu handeln. Der Chef der Sozialistischen Fraktion im EU-Parlament, Martin Schulz (SPD), warf der Regierung in Warschau irrationales Verhalten vor.
Grund ist die Haltung Polens hinsichtlich des künftigen Abstimmungsmodus' in der EU. Die Regierung in Warschau lehnt das System der so genannten doppelten Mehrheit bei Abstimmungen [Mehrheit der Bevölkerung und Mehrheit der Mitgliedstaaten; d. Red.] weiterhin ab - auch weil es angeblich Ängste weckt, da die Deutschen am meisten davon profitierten. Das machte die polnische Außenministerin Anna Fotyga am Freitag vor dem Parlament in Warschau klar.

Sie verteidigte mit Blick auf den Brüsseler EU-Gipfel die Forderung ihres Landes nach Verhandlungen über das Stimmengewicht innerhalb der Union. ¬´Wir meinen, dass das in der Verfassung festgeschriebene System der Abstimmung für Polen unmöglich zu akzeptieren ist, da Polen das Land ist, das dabei am meisten verliert¬ª, betonte sie. Polen könne dem System der doppelten Mehrheit daher nicht zustimmen.

Rückfall in Nationalismen befürchtet

Auch Staatspräsident Lech Kaczynski bekräftigte im westpolnischen Gnesen (Gniezno), der polnische Standpunkt sei unverändert. ¬´Ich sehe keinen Grund, warum Polen die größten Verluste ertragen sollte¬ª, sagte er. Diese Position werde er an diesem Samstag auch im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vertreten.

Sein Bruder, Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, beharrte am Abend beim Besuch des spanischen Ministerpräsidenten Zapatero ebenfalls auf seinen Vorstellungen zum künftigen Abstimmungsverfahren in der EU. Polen werde sich in dem Streit nicht bewegen. ¬´Für uns ist die Verfassung von extremer Bedeutung¬ª, sagte Kaczynski. ¬´Deshalb glauben wir, dass sie auf demokratische Art angenommen werden muss.¬ª

Die Außenexpertin der Grünen im Europäischen Parlament, Angelika Beer, äußerte sich besorgt angesichts der störrischen Haltung Polens. Der Streit zeige, vor welcher Herausforderung Europa stehe, sagte Beer im Gespräch mit Netzeitung.de. ¬´Entweder bekommen wir einen Rückfall in Nationalismen oder die EU macht einen Schritt hin in eine handlungsfähige Zukunft, die wir brauchen.¬ª Dafür seien institutionelle Reformen genauso zwingend wie das im Verfassungsentwurf festgeschriebene System der Abstimmung. ¬´Wir brauchen die doppelte Mehrheit¬ª, sagte Beer. ¬´Ich hoffe, dass die Polen erkennen, dass sie mit ihrer Haltung die Substanz der Europäischen Union gefährden.¬ª Die Polen hätten es selbst in der Hand, ¬´ob sie noch zur EU gehören wollen oder nicht¬ª.

Grüne fordern Kompromiss

Gleichwohl hält Beer nichts davon, Verfassungsgegnern den EU-Austritt nahe zu legen. Denn die polnische Regierung habe mit ihrer unnachgiebigen Haltung nicht Europa als Ganzes im Blick, sondern wolle ¬´in erster Linie Deutschland treffen¬ª. Dabei handele die Regierung am Willen der polnischen Bürger vorbei, sagte Beer mit Blick auf Umfragen, denen zufolge die Mehrheit der Polen sich sogar für die ursprüngliche EU-Verfassung ausgesprochen habe.

Beer appellierte an die deutsche EU-Ratspräsidentin, Bundeskanzlerin Merkel, ¬´bis zur letzten Minute mit Polen einen Kompromiss zu finden¬ª. Merkel liege richtig, wenn sie das Prinzip der doppelten Mehrheit durchsetzen wolle. Aber: ¬´Drohgebärden helfen nicht weiter.¬ª

«Polen handelt emotional»

EU-Parlamentspräsident Pöttering wies darauf hin, dass Polen die Solidarität der anderen EU-Staaten einklage, beispielsweise bei der Energiesicherheit oder im gespannten Verhältnis zu Russland. ¬´Dann muss es sich selbst auch kompromissbereit zeigen. Solidarität ist keine Einbahnstraße¬ª, sagte der CDU-Politiker. Indirekt warnte er mögliche Blockierer vor einem Europa der zwei Geschwindigkeiten: ¬´Jedes Land in der EU muss sich die Frage stellen, ob es den Weg der Integration weiter mitgehen will oder nicht.¬ª Wer den europäischen Fortschritt blockiere, isoliere sich selbst und schließe sich aus der Solidarität der Gemeinschaft aus, warnte Pöttering.

SPD-Politiker Schulz sagte der «Financial Times Deutschland», Polens Regierung «handelt nicht rational, sondern emotional». Sie denke nur in irrationalen Kategorien «nach dem Motto: Polen zuerst, wer nicht mit uns ist, ist gegen uns». Der SPD-Politiker warnte vor einem Scheitern der EU-Verfassung an einem polnischen Veto. «Einigt sich die EU nicht, dann zerlegt sie sich in ihre Einzelteile», sagte Schulz.

Polen konkretisiert seine Wünsche

Im Interesse Polens liege eine Lösung, die ¬´nicht allzu weit¬ª vom Vertrag von Nizza entfernt sei, sagte dagegen Polens Außenministerin Fotyga. Damals war Polen im Europäischen Rat ein Anteil von 27 Stimmen zugestanden worden. Deutschland hatte trotz doppelt so großer Bevölkerungszahl 29 Stimmen erhalten. Polen schlägt vor, das Stimmengewicht im Europäischen Rat aus der Quadratwurzel der Bevölkerungszahl der einzelnen Mitgliedsländer zu berechnen. Polen hätte danach sechs Stimmen im Rat, Deutschland neun. Nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit müssen Entscheidungen 55 Prozent der EU- Mitgliedsländer und 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren.

Fotyga schloss aus, dass Polen dem Prinzip der doppelten Mehrheit im Austausch gegen eine Klausel über europäische Solidarität bei Problemen der Energiesicherheit zustimmen könnte. Polen wolle außerdem, dass auf der Regierungskonferenz ein Beschluss gefasst werde, der nationales Recht über Gemeinschaftsrecht stelle, sagte sie. Aus polnischer Sicht soll außerdem das Prinzip einstimmiger Entscheidungen gewahrt bleiben.

Polnische Bürger für Veto-Drohung

Am Freitagnachmittag wurde in Warschau der spanische Regierungschef Josˆ© Zapatero erwartet. Im Mittelpunkt der Gespräche mit Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski und Staatspräsident Lech Kaczynski dürften ebenfalls die polnischen Veto-Drohungen vor dem Brüsseler Gipfel und die Stimmengewichtung in Europa stehen. Am Donnerstag hatte Lech Kaczynski nach einem Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy betont, er sei zuversichtlich, dass ein Kompromiss in Brüssel erreicht werden könne.

Bei vielen Polen kommt der harte Kurs der Kaczynski-Brüder gut an: Nach einer am Freitag in der Zeitung ¬´Dziennik¬ª veröffentlichten Umfrage sind 49 Prozent der Befragten für ein polnisches Gipfel-Veto, sollte nicht noch einmal über das Stimmengewicht verhandelt werden. Nur 28 Prozent der vom Meinungsforschungsinstitut TNS Obop befragten 500 Polen lehnten ein Veto ab. (nz/dpa)

Netzeitung.de

 

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