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Angelika Beer
MdEP

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Lissabon und die Folgen f¸r die Auþen- und Sicherheitspolitik

14.03.2008

Neuerungen jenseits einer Verfassung

Der am 13.12.2007 beschlossene Vertrag von Lissabon ist das Ðberbleibsel des gescheiterten Verfassungsprozesses. W”hrend eine weitgehende "Verfassung" f¸r Europa nicht mehrheitsf”hig war, soll jetzt der Vertrag die verfahrene Situation retten. In einer EU mit 27 Mitgliedern sind dringend neue Spielregeln gefordert. Mehr Koh”renz, Transparenz und Effizienz war das erkl”rte Ziel. Dies gilt gerade auch f¸r den Bereich der Auþen- und Sicherheitspolitik. Ein kurzer Ðberblick auf die rasanten Ver”nderungen und Ereignisse in diesem Bereich macht dies mehr als deutlich: erste Erfahrungen mit Auslandseins”tzen, das Verabschieden einer Europ”ischen Sicherheitsstrategie, die auþervertragliche Einrichtung der Europ”ischen Verteidigungsagentur, die Haltung der Mitgliedsl”nder zum Irak-Krieg, die Diskussion ¸ber ein US Raketenabwehrschirm und nicht zuletzt die Reaktionen auf die Anschl”ge von London und Madrid.


Alles ”ndert sich - alles bleibt gleich

Der wesentliche Unterschied zum geplanten Verfassungsvertrag ist, dass der Vertrag von Lissabon die beiden bisher existierenden Vertr”ge (EUV, EGV) lediglich erg”nzt. Statt eines grundlegenden Rechtsdokumentes f¸r die Europ”ische Union wie es die Verfassung vorgesehen h”tte, wird es weiterhin zwei getrennte Vertr”ge geben, die aber - anders als vorher - dieselbe rechtliche Stufe erhalten. Zuk¸nftig gibt es den Vertrag ¸ber die Europ”ische Union (EUV) und den Vertrag ¸ber die Arbeitsweise der Europ”ischen Union (AEUV). Inhaltlich wird viel von der urspr¸nglich angedachten Verfassung ¸bernommen. Zentral an dieser Stelle ist, dass die EU Rechtspers–nlichkeit erh”lt und die bisherige S”ulenstruktur beendet wird.


Europa spricht mit drei Stimmen - statt mit einer

Wer spricht f¸r die EU? Diese Frage begleitet die Europ”ische Union seit ihrer Gr¸ndung. Wer darf im Namen der EU sprechen, wie kann f¸r andere L”nder leichter erkennbar sein, wer ihr Ansprechpartner ist? Die Antwort auf diese Fragen sollte gel–st werden durch die Schaffung eines Hohen Vertreters/einer Hohen Vertreterin f¸r Auþen- und Sicherheitspolitik. In diesem Amt vereinigen sich die bisherigen Posten von Javier Solana und Benita Ferrero-Waldner, der Kommissarin f¸r Ausw”rtige Angelegenheiten. Der oder die erste Amtsinhaber/in wird zugleich Vize-Pr”sident/in der Kommission werden. Die Stelle ist ein Novum, weil sie Kompetenzen vereinigt, die vorher im Rat und in der Kommission angelegt waren - zwei getrennt agierenden Institutionen mit unterschiedlichen Befugnissen. Es ist ein erster Beleg f¸r die Ðberwindung der S”ulenstruktur. Daraus ergeben sich viele neue M–glichkeiten, u.a. wird eine leichtere Zusammenarbeit in zivil-milit”rischen Angelegenheiten erwartet, weil sich die Zust”ndigkeiten in einer Person vereinigen.

Daneben wird es aber ein zweites neues Amt geben, das eines Pr”sidenten/einer Pr”sidentin des Europ”ischen Rates. Diese Person wird von den Staats- und Regierungschefs f¸r 2 ‡ Jahre gew”hlt und dem Europ”ischen Rat ein konstantes Gesicht geben. Bei den halbj”hrlich routierenden Ratspr”sidentschaften wechselte auch immer der Vorsitz f¸r den Europ”ischen Rat. Dies ist damit beendet. Allerdings ist der Europ”ische Rat das Gremium, das die groþen Linien in der EU vorgibt - also auch in der Auþenpolitik. Wird sich der/die zuk¸nftig Pr”sident/in verbieten lassen, sich ¸ber die auþenpolitische Ausrichtung der Union zu ”uþern?

Das ist ebenso wenig wahrscheinlich, wie die Vorstellung, dass der/die zuk¸nftige Kommissionspr”sident/in sich zur¸cknehmen wird, wenn es um die Repr”sentierung der EU geht. So wie jetzt Barrosso bei allen entscheidenden Sitzungen und Verhandlungen dabei ist, wird es sich auch der oder die n”chste Amtsinhaber/in nicht nehmen lassen, als Vertreter/in der Exekutive aufzutreten.

Damit sind es bereits drei Personen, die einen wesentlichen Anspruch anmelden werden, als die Stimme Europas zu gelten. Nicht zu vergessen sind aber auch noch die jeweiligen Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsl”nder sowie deren Auþenminister/innen. Es wird also eng an der Spitze Europas.


Neuerung: Europ”ischer Ausw”rtiger Dienst

Das hat es auch noch nie gegeben: einen diplomatischen Dienst im Namen der EU. Schon heute unterh”lt die EU ¸ber 120 Delegationen und B¸ros weltweit. Aber nur z–gerlich verzichten die Mitgliedsl”nder auf eigene Vertretungen. Das k–nnte sich ”ndern, wenn mit dem Europ”ischen Ausw”rtigen Dienst die Grundlage daf¸r gelegt ist, dass es europ”isch ausgebildeten Diplomaten geben wird, die dieselbe rechtliche Grundlage haben und im Namen aller Mitglieder sprechen k–nnen. Der Europ”ische Ausw”rtige Dienst wird die Unterst¸tzung f¸r den Hohen Vertreter/ die Hohe Vertreterin sein und ihm/ihr direkt unterstellt. Soviel ist klar. Noch steht aber nicht fest, woher diese Personen kommen sollen und wo sie sitzen sollen. Ihr/e Chef/in ist halb im Rat halb in der Kommission verankert. Je nachdem wo das Schwergewicht liegen wird, wird dies Auswirkungen auf die Aufgabenstellung haben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die zuk¸nftige Ausgestaltung derzeit unter dem Mantel der Verschwiegenheit zwischen den betroffenen Institutionen ausgehandelt wird. Dies widerspricht allerdings allen Vorgaben von Transparenz und demokratischer Kontrolle. Wir fordern daher f¸r die zuk¸nftige Legitimation des diplomatischen Dienstes, der die europ”ischen B¸rgerinnen und B¸rger vertreten soll, eine breitere Beteiligung auch des Parlaments an der Formulierung der zuk¸nftigen Arbeit.


GSVP - gemeinsame Verteidigung, Sicherheitsarchitektur · la Carte und viele offene Fragen

Aus ESVP wird GSVP. Statt einer Europ”ischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird es zuk¸nftig eine Gemeinsame geben. Diese Umbenennung ist ambiti–s, st–þt doch gerade die Geschlossenheit der EU in auþenpolitischen Fragen immer wieder schnell an ihre Grenzen.
Durch das Instrument einer verst”rkten Zusammenarbeit k–nnen Mitgliedsl”nder auch in Zukunft dort enger zusammenarbeiten, wo sie Gemeinsamkeiten haben und gemeinsame Ziele verfolgen.
Kritisch ist jedoch, dass nur f¸r den Bereich der milit”rischen Kooperation ein extra Instrument eingef¸gt wird, das sich "st”ndige strukturierte Zusammenarbeit" nennt. Es bietet Staaten an, die "milit”risch in der Lage und politisch gewillt sind" st”rker zusammenzuarbeiten. Erkl”rtes Ziel ist es, bis sp”testens 2010 ¸ber F”higkeiten zu verf¸gen, entweder als nationales Kontingent oder als Teil von multinationalen Truppenverb”nden bewaffnete Einheiten bereitstellen zu k–nnen, die in der Lage sind, in Aussicht genommen Missionen durchzuf¸hren. Die st”ndige strukturierte Zusammenarbeit soll den Eintritt in eine neue Phase der Sicherheitspolitik markieren, die zu einer besseren Koordinierung der Verteidigungsf”higkeiten f¸hrt.

Obwohl wir die Harmonisierung nationaler milit”rischer F”higkeiten grunds”tzlich bef¸rworten, weil damit die Kapazit”ten, die jedes einzelne Land vorh”lt, deutlich reduziert werden k–nnten und somit nicht nur Milit”rausgaben gesenkt werden k–nnten sondern auch die Zahl der Streitkr”fte, so sind die jetzige Pl”ne der EU doch eindeutig zu einseitig ausgerichtet. Keinem anderen auþenpolitischen Bereich wird im Vertrag ein derartiger Stellenwert wie der milit”rischen Zusammenarbeit gewidmet. Dazu geh–rt auch die Aufwertung der Europ”ischen Verteidigungsagentur, die nicht nur Eingang in die Vertr”ge findet sondern auch der entscheidende Gratmesser f¸r eine erfolgreiche Zusammenarbeit wird.

Die EU vernachl”ssigt, dass sie ein Akteur ist, dem alle Politikbereiche zur Verf¸gung stehen. Gerade das Zusammenspiel aus wirtschaftlichen, sozialen und politischen Anreizen hat in der Vergangenheit zum Erfolg gef¸hrt. Moderne Krisen lassen sich allein mit milit”rischen Mitteln nicht l–sen. Es ist daher bedauerlich, dass der neue Vertrag nicht eine ebenb¸rtige Verpflichtung im zivilen Bereich vorsieht. Schon heute ist ein Groþteil der ESVP Eins”tze ziviler Natur, aber die Mitgliedsl”nder z–gern oder sind nicht in der Lage, entsprechendes Personal bereitzustellen. Eine Aufforderung entsprechendes Personal zu sammeln, nach denselben Standards auszubilden oder gleich in Br¸ssel anzusiedeln w”re die richtige Antwort auf zuk¸nftige Herausforderungen gewesen.

Statt dessen gilt der Fokus wieder einmal nur der milit”rischen Seite, die gleichzeitig viele Fragen offen l”sst: Wer bestimmt die Spielregeln? Wer darf mitmachen? Was sind die Maþst”be f¸r die Teilnahme? Wie sollen die internen Entscheidungsstrukturen aussehen? Ist es vorstellbar, dass 5 Teilnehmer einer st”ndigen strukturierten Zusammenarbeit ein 6. Mitglied wieder ausschlieþen, weil es die Anforderungen nicht erf¸llt? Keine der Fragen ist bisher gekl”rt.

Unterst¸tzung im Angriffsfall

Die neuen Vertr”ge sehen nicht nur eine Solidarit”tsklausel vor, mit der die Mitgliedsl”nder sich ihre Unterst¸tzung im Falle einer terroristischen Bedrohung oder Naturkatastrophe zusichern, sie verpflichten sich zuk¸nftig auch zum milit”rischen Beistand. Ÿhnlich des Artikels 5 im Nato-Vertrag sichern die Mitgliedsl”nder im Falle eines bewaffneten Angriffs alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterst¸tzung zu. Diese neue Beistandsklausel erkennt aber an, dass einige L”nder neutral sind und f¸gt gleichzeitig an, dass die Verpflichtungen im Einklang mit dem Nato-Vertrag bleiben.
Trotzdem ist diese Beistandsverpflichtung ein deutliches Zeichen f¸r einen neuen Charakter der Union. Die EU wird zum Verteidigungsb¸ndnis.

Effizientere Entscheidungsprozesse, aber zu wenig parlamentarische Kontrolle

Der Vertrag von Lissabon er–ffnet in geringem Umfang die M–glichkeit der Qualifizierten Mehrheit bei Ratsentscheidungen, zusammen mit der M–glichkeit einer konstruktiven Enthaltung. Auf diese Weise f”llt die l”hmende Suche nach Einstimmigkeit - allerdings nur wenn einstimmig so entschieden wird.
Das Parlament erh”lt ¸ber sein Haushaltsrecht die Mitbestimmung an der finanziellen Ausstattung des Europ”ischen Ausw”rtigen Dienstes. Ein kleiner Schritt der Einflussnahme. F¸r den Bereich der Auþenwirtschaftspolitik wird das Mitentscheidungsverfahren eingef¸hrt, so dass auch hier das Parlament Mitsprache erh”lt.
Ansonsten bleibt der Einflussbereich in der Auþen- und Sicherheitspolitik gering. Daher gilt es, die geringen M–glichkeiten zu nutzen. Eine davon ist die Zitierung des zuk¸nftigen Hohen Vertreters / der zuk¸nftigen Hohen Vertreterin vor die zust”ndigen Aussch¸sse im Parlament. W”hrend f¸r den/die neue/n Pr”sident/in des Rates festgelegt ist, dass er/sie dem Parlament zwei Mal im Jahr Bericht erstatten muss, gibt es keine Vorgaben f¸r den/die Hohe Vertreter/in. Das er–ffnet die M–glichkeit f¸r eine engere Absprache als bloþ gelegentliche Besuche.

Grund- und Menschenrechte

Mit dem Vertrag von Lissabon wird die Charta der Grundrechte endlich verpflichtend. Allerdings ist es gegen den Widerstand von Polen und Groþbritannien nicht gelungen, die Charta in den Vertragstext aufzunehmen.
Nach langem Vorlauf wird mit dem neuen Vertrag ebenfalls erm–glicht, dass die EU der Europ”ischen Menschenrechtskonvention beitreten kann.

Auf den Start kommt es an - erste Entscheidungen und Personaldebatten bis zum Inkrafttreten

Die Hausnummern sind angegeben aber noch weiþ niemand was sich dahinter verbirgt. Damit die EU Auþenpolitik keine Schaufensterveranstaltung bleibt, m¸ssen die Aufgaben und Posten schnellstm–glich ausbuchstabiert werden. Der Vertrag soll am 1.1.2009 in Kraft treten. Wenn bis dahin die Stellenbeschreibung f¸r den/die Vize-Kommissar/in fehlt und der/die Pr”sident/in des Europ”ischen Rates nicht weiþ, was er/sie sagen darf, sind die Bem¸hungen f¸r ein koh”rentes Auftreten hinf”llig. Ohne Benennung der Zust”ndigkeiten wird es auþerdem den ersten Amtsinhabern ¸berlassen, die Posten mit Leben zu f¸llen. Das kann hilfreich sein, aber genauso gut auch zu Wildwuchs und Zerr¸ttung an der Spitze f¸hren. Das hat die EU in ihrem Auþenansehen nicht verdient.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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