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Angelika Beer
MdEP

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EU-Piraten-Mission: viele offene Fragen

16.12.08

Piraten

Die ˆúberfˆ§lle durch Piraten haben in diesem Jahr dramatisch zugenommen. Obwohl das Problem spˆ§testens seit 2005 von der Internationalen Maritime Organisation thematisiert wurde und bereits das Grünbuch der EU vom Sommer 2006 umgehend fordert, eine langfristige Strategie gegen die Piraten zu entwickeln, ist bisher wenig passiert. Erst in diesem Jahr konnte niemand mehr die Augen verschlieˆüen und nachdem die Vereinten Nationen im Juni um Hilfe und Unterstützung in den Gewˆ§ssern vor Somalia baten, begann ein sehenswerter Aktionismus. Ironischerweise war es der Transportausschuss des Europaparlamentes der das Thema auf die Tagesordnung des Plenums setzte.

Wer oder was soll geschützt werden?

Obwohl das Problem der Piraterie weltweit bekannt ist, stellt es derzeit vor der Küste Somalias eine besondere Bedrohung dar. Hier fanden 2008 die meisten Vorfˆ§lle statt und die Piraten gehen immer organisierter und brutaler vor. Die Auswirkungen sind verheerend. Der gesamte internationale Schiffsverkehr leidet, weil eine der meistbefahrenden Strecken derart unsicher geworden ist. Das Leben der Seeleute ist unmittelbar bedroht. Aber auch das Augenmerk auf die leidende somalische Bevˆlkerung wird grˆˆüer. So ist eine der Hauptaufgaben auch die Absicherung der Schiffe des Welternˆ§hrungsprogramms, die die notleidenden Bevˆlkerung in Somalia versorgen.

Was macht die EU?

Die Mitgliedstaaten der EU haben den Aufruf der UN dahingehend umgesetzt, dass sie eine militˆ§rische Operation ins Leben gerufen haben. Eine EU Koordinierungszelle soll zusˆ§tzlich die Aktivitˆ§ten der verschiedenen Organisationen vor Ort koordinieren. (siehe Joint Action 749).
Seitdem am 8. Dezember die Operation "Atalanta" gestartet ist, hat die Koordinierungszelle ihren Dienst eingestellt. Ab jetzt koordiniert das Hauptquartier im englischen Northwood die Einsˆ§tze. Hauptaufgabe ist der Schutz von Schiffen des Welternˆ§hrungsprogramms aber auch anderen Handelsschiffen, die in Not geraten. Die Frage wird sein, ob Schiffe versenken die einzige Lˆsung vor Ort sein wird oder noch andere Praktiken greifen. Besonderer Abstimmungsbedarf besteht bei der Frage, wie mit Gefangenen umgegangen werden soll. Ein Shuttle-Tourismus hin zu Gerichtsverfahren in europˆ§ischen Stˆ§dten ist ebenso wenig vorstellbar wie das einfache Aussetzen der gefangenen Piraten an Land. Hier muss dringend ein international abgestimmtes Vorgehen her.

Hatte die EU zuerst nur auf die UN Resolution 1816 und 1838 reagiert, , wurde das Vorgehen der EU mittlerweile von einer weiteren UN-Resolution begrüˆüt und bestˆ§tigt.
Obwohl der Einsatz gegen Piraten auf diese Weise legitimiert ist, hat das Vorgehen aus parlamentarischer Sicht viele Fragen aufgeworfen. So ist das Europaparlament nur spˆ§rlich und im Nachhinein über die laufenden Plˆ§ne informiert worden. Eine erste Sitzung des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses fand nur auf Druck der Abgeordneten am 15.10. im Rahmen einer Sondersitzung statt. Als Gˆ§ste waren geladen Claude-France Arnould, Generalsekretˆ§rin des Rates und Kapitˆ§n zur See Andres Breijo Claur, Leiter der Koordinierungszelle EU NAVCO. Beide haben einen Bericht zu dem militˆ§rischen Koordinierungsmaˆünahmen der Europˆ§ischen Union gegeben.

Dennoch blieben viele Fragen offen, die auch bis heute nicht geklˆ§rt sind. Immerhin wurde eine Kernfrage, die uns Grünen sehr am Herzen liegt, beantwortet: Die Vertreterin des Rates hat ausdrücklich auf Nachfrage bestˆ§tigt, dass es keine Vermischung geben darf zwischen dem Mandat für den Antiterrorkampfes (OEF) und dem EU Einsatz gegen Piraterie. Das ist insofern begrüˆüenswert als noch der Kommissar für Transport in der ersten Sitzung des Europaparlaments zu der Frage der Piraterie die Piraten in einen Topf mit Terroristen warf.

Die weitere Entwicklung stellt dieses Grundprinzip aber wieder in Frage. Mittlerweile will auch die NATO vor Ort eine eigene Piratenmission starten. Kaum jemand wird unterscheiden kˆnnen, welche Fregatten unter welchem Mandat fahren. Da auch nur eine begrenzte Anzahl an Schiffen der Mitgliedsstaaten vorhanden ist, wird es absehbar sein, dass das Ausleihen und Austauschen von Mensch und Material an der Tagesordnung sein wird. Interessant wird auch die Abstimmung mit USA, Russland und anderen werden, die sich alle am Horn von Afrika engagieren. Wenn es nach dem Willen der Amerikaner geht, kˆnnte als weitere Dimension demnˆ§chst noch die Piratenverfolgung an Land hinzukommen.

Politische Bewertung

Das Anliegen der Vereinten Nationen, die drohende humanitˆ§re Katastrophe in Somalia zu verhindern, ist ebenso berechtig wie der Schutz der Schiffe, die im Auftrag des Welternˆ§hrungsprogramms überlebensnotwendige Fracht nach Somalia bringen. In diesem Zusammenhang ist auch die UN Mandatierung nach Kapitel VII vertretbar, weil die Einsatzkrˆ§fte sonst - wie bisher ¬ñ lediglich Nothilfe leisten kˆnnten.

Neben den unten aufgeführten Fragen bleibt politisch aber noch kritisch anzumerken, dass zu lange die Augen vor den Problemen Somalias verschlossen wurden. Die Ursachen der Piraterie gerade vor der Küste Somalias sind entscheidend im Staatszerfallsprozess selbst zu suchen. Hier helfen keine kurzfristigen militˆ§rischen Lˆsungen, um langfristig Stabilitˆ§t zu schaffen. Entscheidend wˆ§re eine ˆ§hnlich massive Unterstützung für den politischen Prozess im Land selbst. Die Afrikanische Union bemüht sich seit Jahren die verfeindeten Lager an einen Tisch zu bekommen. Hier wˆ§re internationaler Druck und Unterstützung sinnvoll und hilfreich gewesen. Der Deutsche Bundestag hat beispielsweise im November 2007 die Bundesregierung aufgefordert, mit einer gezielten Afrikastrategie den Frieden in Somalia voranzubringen. Der Aufruf ist ungehˆrt verhallt.

Es wird nichts nützen, wenn die Verantwortlichen sich jetzt zu den beschlossenen Militˆ§roperationen auf die Schulter klopfen. Ohne einen begleitenden politischen Prozess in Somalia selber wird entweder der Einsatz zu einer zeitlichen unbegrenzten ˆúbung oder im schlimmsten Fall sogar scheitern, wenn sich zeigt, dass die Piraten auf die Aufrüstung ihrerseits mit Aufrüstung reagieren. Schon jetzt müssen ˆúberlegungen angestellt werden, wie es nach einem Militˆ§reinsatz aussehen soll. Wenn alle sich an das Vorhandensein von Militˆ§reskorten gewˆhnt haben, wird auch die Tourismusbranche keine Veranlassung sehen, ihre Luxusliner nicht durch die gefˆ§hrliche Meerenge zu steuern. Wenn Schutz garantiert wird, werden auch Billigflaggen & Co dankbar von dem Angebot Gebrauch machen. Dass viele Piraten keine andere Existenzgrundlage als rˆ§uberische ˆúberfˆ§lle sehen, hat nicht zuletzt auch mit anderen Politikbereichen der EU zu tun, wie etwa der Fischereipolitik. Viele der heutigen Piraten waren ehemals Fischer, denen die Fischbestˆ§nde von den hochtechnologisierten EU Fangflotten weggefischt wurden.

Offene Fragen

Obwohl mit der EU-Mission auf ein drˆ§ngendes Problem reagiert wird und die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung zu begrüˆüen ist, bleiben relevante Fragen unbeantwortet:
¬ï In welcher Form unterscheiden sich die Mandate der NATO, die Anfang Oktober einen Militˆ§reinsatz gegen Piraterie vor Somalia beschlossen hat, und der zukünftige Einsatz der Europˆ§ischen Union?
¬ï Welchen Auftrag haben die Marineschiffe der Europˆ§ischen Union? Sollen sie nur abschrecken oder versuchen, mit dem Schuss vor den Bug Piratenschiffe zu stoppen? Sind sie befugt Schiffe zu versenken? Wenn sie Piraten festnehmen, was passiert dann mit diesen?
¬ï Wie agieren die EU- oder NATO-Krˆ§fte, wenn sich herausstellt, dass sie einem Schiff Geleitschutz bieten, das illegale Rüstungsexporte in eine Krisenregion wie zum Beispiel Südsudan bringen will?
¬ï Welche Maˆünahmen werden getroffen, dass europˆ§ische Staaten sich nicht weiter daran beteiligen, die Fischereibestˆ§nde vor der somalischen Küste zu plündern - mit der Konsequenz, dass immer mehr somalische Fischer keine Existenzgrundlage mehr haben und somit in der Piraterie eine Alternative sehen?
¬ï Wie geht man mit der Forderung der Vereinten Nationen um, dass alle Aktionen eng in Abstimmung mit der somalischen ˆúbergangsregierung vorzunehmen sind, obwohl bekannt ist, dass der somalische Staatsprˆ§sident ein Teil der durch Piraterie erpressten Lˆsegelder in die eigene Tasche steckt?
¬ï Welche Maˆünahmen werden durch die EU oder die NATO getroffen, um die AU in Somalia zu unterstützen?
¬ï Welches entwicklungspolitische Konzept hat die EU im Hinblick auf die Stˆ§rkung Somalias?
¬ï Inwieweit wird das Stabilitˆ§tsinstrument durch eine langfristige Planung in diesen Kampf gegen Piraterie einbezogen?
• Inwieweit wird es eine Kooperation in diesem Kampf gegen Piraterie mit Russland geben?

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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