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Angelika Beer
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Der Krieg ist in Teile Afghanistans zurückgekehrt

05.09.2008

Grüne Europa-Abgeordnete fordert Klarheit über Status der Bundeswehr.
Angelika Beer im Gespräch mit Birgit Kolkmann

Die grüne Europa-Abgeordnete Angelika Beer hat die Bundesregierung aufgefordert, Klarheit über den Status der Bundeswehr in Afghanistan zu schaffen. Die Aussage von Bundesverteidigungs- minister Franz Josef Jung (CDU), die Debatte um den Abzug aus Afghanistan zu beeenden, sei "brandgefährlich", kritisierte sie.

Birgit Kolkmann: Die Bundeswehr in Afghanistan, ist das eine tÖdliche Mission, gar ein Kriegseinsatz? Deutsche Soldaten erschossen an einer Straßensperre Zivilisten, darunter Kinder - aus Versehen. Und der jetzt in Afghanistan getÖtete Soldat wird vom Bundeswehrverband als Gefallener bezeichnet. Krieg beginnt mit kriegerischer Sprache und der Streit über die Worte zeigt in diesen Tagen, wie verunsichert die öffentlichkeit, aber auch die Politik darüber ist, woran die Bundeswehr sich in Afghanistan beteiligt. Bei den Grünen mehren sich die Stimmen, die einen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan fordern. Angelika Beer ist verteidigungspolitische Expertin und Sprecherin der Grünen im Europaparlament. SchÖnen Guten Morgen in Deutschlandradio Kultur.

Angelika Beer: SchÖnen guten Morgen.

Kolkmann: Frau Beer, die Bundeswehr raus aus Afghanistan. Arbeiten die Grünen an einer Exit-Strategie?

Beer: Wir diskutieren natürlich eine Exit-Strategie, weil spätestens seit dem Beschluss der Kanadier, sich aus Afghanistan zurückzuziehen, und auch den Debatten in den Niederlanden ist das keine typisch grüne Diskussion, sondern wir müssen Fakten benennen und wir haben ein besonderes Augenmerk auf Deutschland auch als Europäer, weil Deutschland der zweitgrÖßte Truppensteller in Afghanistan ist und wir feststellen, dass unter dieser Bundesregierung, speziell unter Verteidigungsminister Jung, der gestern die Parole ausgegeben hat, die Debatte zu beenden, verhindert werden soll, dass politische Beschlüsse, die gefasst sind, einfach so weitergeführt werden sollen.

Die politischen Beschlüsse müssen wir uns in Erinnerung rufen. Die sind vollkommen klar. In Reaktion auf den 11. 9. 2001 hat die NATO den Verteidigungsfall ausgerufen nach Artikel fünf. Das gilt bis heute. Das heißt, wir sind im Krieg. SchrÖder hat die uneingeschränkte Solidarität erklärt. Und das Ergebnis ist, dass unsere Bundeswehrsoldaten in einem asymmetrischen Krieg versuchen, auf der einen Seite den Wiederaufbau zu stärken, auf der anderen Seite aber auch in dem Kampfeinsatz Enduring Freedom aktiv beteiligt sind. Deswegen halte ich die Aussage von Jung für brandgefährlich, denn wir wissen seit der letzten internationalen Konferenz, dass wir frühestens 2013 über einen Wechsel der Übergabe der Verantwortung zu den Afghanen hin, auch über einen Abzug reden kÖnnen. Wenn Jung jetzt sagt: "Debatte beenden", heißt das, dass in den nächsten fünf Jahren Nebelkerzen geworfen werden, was natürlich keine politische Verantwortung ist.

Kolkmann: Nun haben Sie natürlich selber gerade eben daran erinnert, dass die Deutschen der zweitgrÖßte Truppensteller für Afghanistan sind. Da über einen Ausstieg nachzudenken, ist ja schon ein bisschen gewagt. Kommen wir noch mal auf die Position der Grünen zurück. Sie sprachen die Ausrufung des NATO-Verteidigungsfalls an. Wenn wir noch weiter in die Geschichte gehen: Vor neun Jahren führte ja Joschka Fischer die Partei Richtung Kriegseinsatz. Damals ging es um das Kosovo. Ist denn nun, wenn man einen Rückzieher jetzt im Falle Afghanistans macht, das ein bisschen unglaubwürdig?

Beer: Wir wollen ja nicht die Truppen von heute auf morgen abziehen. Wir verlangen, auch im Interesse der ZivilbevÖlkerung in Afghanistan, im Interesse von Hilfsorganisationen, aber auch Polizisten und Soldaten, die bereit sind, für Afghanistan ihr Leben zu riskieren, brauchen wir eine Regierung, die verantwortungsvoll handelt. Dazu gehÖren die Fakten auf den Tisch und die haben sich in den letzten Tagen noch mal verändert. Ich will das ganz klar benennen.

Wenn es sich herausstellen sollte, dass es stimmt, dass amerikanische ISAF-Soldaten, also die Soldaten, die eigentlich für diesen Wiederaufbau verantwortlich sind, vÖlkerrechtswidrig in Pakistan Ziele angegriffen haben, Menschen getÖtet haben, und dass es dort auch zu Protesten natürlich gekommen ist, dann muss man fragen, welchen Auftrag hat ISAF und wie definieren wir unsere Beteiligung. Wenn die Bundesregierung vor hat, Awacs-Maschinen zur Verfügung zu stellen, die automatisch dazu führen, dass wir Kriegsbeteiligte in der Angriffsplanung sind, dann müssen wir die Frage stellen, wird ein solches Flugzeug nicht nur benutzt, um in Afghanistan aufzuklären, sondern auch Ziele in Pakistan zu markieren.

Kolkmann: Ist das nicht aber eine akademische Diskussion, Frau Beer?

Beer: Nein. Das ist die Praxis, die im Moment vor Ort läuft. Die Amerikaner führen einen Krieg gegen den Terror und einen Krieg gegen die Drogen und sie nehmen keine Rücksicht darauf, wie wir ISAF definieren.

Kolkmann: Aber der ISAF-Einsatz ist nicht der Einsatz von Enduring Freedom. Die Operation ist doch etwas anderes. Das muss man doch voneinander trennen.

Beer: Man kann diese Mandate nicht mehr trennen, weil alles unter US-Führung steht.

Kolkmann: Diese Mandate sind doch rechtlich getrennt.

Beer: Sie sind rechtlich im Bundestag getrennt, aber selbst der Bundestag hat auf Wunsch der Regierung nicht einmal definiert, welchen Status unsere Soldaten in Afghanistan haben. Diese Klärung wollen wir erzwingen, denn dann ist diese Klärung die Grundlage dafür, politisch zu entscheiden, machen wir einfach weiter so, oder haben wir die MÖglichkeiten - und dann sehe ich auch die Europäer in der Pflicht; die versagen ja auch -, die Chance, wir müssen unseren Einfluss dafür nutzen, im Sinne Afghanistans und des Strategiewechsels Druck auf die Amerikaner auszuüben. Diese Chance wird es ja in Kürze geben.

Kolkmann: Ich mÖchte noch mal auf die Debatte innerhalb der Grünen zurückkommen. Diese Debatte war ja schmerzhaft, und es kam ja auch einer Zerreißprobe gleich, als es darum ging, ob sich Deutsche damals im Kosovo im Prinzip mit an einem Krieg beteiligen. Geht es jetzt, wenn man die gegenwärtige Diskussion betrachtet, um eine pazifistische Vergangenheit der Partei, die ihre Regierungsbeteiligung unter SchrÖder verleugnet?

Beer: Wir haben überhaupt nichts zu verleugnen, vor allen Dingen nicht diejenigen, die Pazifisten bei uns sind. Wir haben eine sehr übergreifende Kommission eingerichtet, die jetzt ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Ich war Mitglied darin. Und wir haben ganz klar festgehalten zu Afghanistan, dass der Krieg seit 2006 vor allem in Teilen des Südens und Ostens zurückgekehrt ist. Die Frage, die jetzt in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, ist zu analysieren und wenn es so ist, dann klar darüber zu reden. Diese Situation hat sich jetzt auch in den Norden hin weiterentwickelt und dann muss man darüber reden, welche MÖglichkeiten haben wir in der Verantwortung für Menschenleben, der Zivilisten und der Menschen, die wir schicken und mandatieren, um tatsächlich unser Ziel zu erreichen. Wer diese Diskussion wie Herr Jung beenden will, handelt fahrlässig, sowohl gegen die afghanische ZivilbevÖlkerung als auch gegen Soldaten und Polizisten und Hilfsorganisationen. Da ist das Problem und da fordern wir die Klarheit.

Kolkmann: Vielen Dank, Angelika Beer. Sie ist verteidigungspolitische Expertin und Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Vielen Dank für das Gespräch.

Beer: Ich bedanke mich. SchÖnen Tag!

Kolkmann: SchÖnen Tag Ihnen auch.

Das Interview im Deutschlandradio

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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