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Angelika Beer
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Den Balkan nicht links liegen lassen! Ergebnisse der Reisen nach Mazedonien und ins Kosovo im Oktober 2008

24.10.08

In der öffentlichen Wahrnehmung ist es leiser geworden um den Balkan. Von Thessaloniki 2 kann schon gar nicht mehr die Rede sein. Seit der Unabhängigkeits- erklärung des Kosovos vom 17. Februar 2008 versucht die Europäische Union ihre bisher größte zivile ESVP-Mission im Kosovo zu implementieren. In Mazedonien sorgt der Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien sowohl für eine Blockade im Hinblick auf die Aufnahme in die NATO als auch den Beginn der Verhandlungen mit der Europäischen Union für eine spätere Mitgliedschaft. Seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos blockiert Russland in enger Abstimmung mit Belgrad eine Änderung der UN Resolution 1244, um EULEX ein klares völkerrechtliches Mandat zu erteilen.
In Bosnien-Herzegowina sind bei den letzten Wahlen die nationalistischen Kräfte gestärkt worden. Der von Sarkashwilli provozierte Kaukasuskonflikt und die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland verhindern eine internationale Balkanstrategie ebenso wie die Uneinigkeit in der EU selbst. Bisher verweigern 5 EU Mitgliedsländer die Anerkennung Kosovos ¬ñ und blockieren sich damit selbst.

Blockade in Mazedonien – der Namensstreit


Sämtliche Gespräche in Skopje reduzierten sich fast ausschließlich auf den Namensstreit mit Griechenland. Seitdem Griechenland auf dem letzten NATO Gipfel in Bukarest die Einladung Mazedoniens in die NATO durch Einlegung des Vetos verhindert hat, nutzt die konservative Regierungsmehrheit in Skopje den Namensstreit mit Griechenland dazu, diese Frage als ¬ÑGefährdung der nationalen Identität¬ì ins Zentrum aller Auseinandersetzungen zu stellen. Brennende Fragen wie die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit und die wirtschaftlichen Probleme einschließlich der fehlenden Direktinvestitionen sollen damit bewusst an den Rand gedrängt werden. So sehr die griechische Regierung auch zu kritisieren ist, die grundsätzlich keine Minderheiten im eigenen Land anerkennt und sich nicht mehr an das bei der UN geschlossene Interimsabkommen von 1995 gebunden fühlt, hilft ein rhetorischer Nationalismus in Skopje nicht weiter, sondern verhindert die weitere Annäherung an EU und NATO. Die Debatte über den jüngsten von UN Unterhändler Nimetz unterbreiteten Namens-Vorschlag ¬ÑNördliches Mazedonien¬ì soll nun erstmals im Rahmen einer Parlamentsdebatte in Skopje geführt werden.
Unter anderem spielt hierbei die Frage nach Abhaltung eines Referendums eine wesentliche Rolle. Nimetz Vorschlag ist ein aus meiner Sicht fragwürdiger Vorschlag, impliziert er doch, dass es auch ein südliches Mazedonien gibt. Damit leistet er der griechischen Unterstellung, Mazedonien würde irgendwann Gebietsansprüche auf Nord-griechisches Territorium stellen, unnötig Vorschub.
Die Europäische Union hat ihre Chance, als Mittlerin zu wirken, verspielt. Die einseitige Unterstützung Sarkozys für die griechische Position wird aus Skopje mit vollkommenem Unverständnis und Vertrauensverlust in die EU beantwortet.

Die jüngste Aussage von Olli Rehn, dass der bisherige Reformprozess in Mazedonien unzureichend sei und Mazedonien im Jahr 2008 nicht mehr mit einem Datum für den Beginn der Verhandlungen mit der EU rechnen kann, dürfte die inner- mazedonischen Probleme weiter verschärfen.

Innenpolitische Konflikte
Neben dem Disput zwischen Staatspräsident Crvenkovski und Premierminister Gruevski im Namensstreit sind drei weitere Themen von Relevanz: 1. Amnestie für Verbrechen im Krieg 2001; 2. Staatsrechtliche Änderung Präsidentschaftswahlen; 3. Änderung Wahlgesetz. Die Präsidentschaftswahlen sind für den März 2009 datiert. Es gibt einen Vorschlag, den Posten des Vizepräsidenten zu etablieren, so dass beide Ethnien an der Staatsführung beteiligt sind. Dies würde zwar kurzfristig einen Burgfrieden der an der Koalition beteiligten Parteien gewährleisten, würde aber gleichzeitig eine Politik, die sich nach den Ethnien richtet und nicht nach Programm, manifestieren. Für Konfliktstoff sorgt auch, dass entgegen der Vereinbarung von Ohrid, die albanische Sprache weder bei der Polizei noch im Militär eingeführt wurde.

Mazedonien und Kosovo
In der Frage der Anerkennung des Kosovos hatte Mazedonien die Unabhängigkeit de facto durch die inzwischen fast abgeschlossene Grenzmarkierung und Anerkennung kosovarischer Pässe akzeptiert. Die vorläufige Verschiebung der offiziellen Anerkennung Kosovos im September wurde mir gegenüber damit begründet, dass Belgrad versuche erheblichen Druck auf Skopje auszuüben (insbesondere im wirtschaftlichen und Energiebereich). Die dann doch am 9. Oktober sowohl von Mazedonien als auch von Montenegro erfolgte offizielle Anerkennung Kosovos ist ein positiver Schritt für die Gesamtregion. Mazedonien braucht die Unterstützung der EU, um die Folgen abzufedern.


Kosovo: New Born Country?!


Mit Unterstützung von KFOR Süd hatte ich die Möglichkeit, zusätzlich zum Delegationsprogramm des Europaparlaments, einen umfassenden Einblick in die aktuelle Sicherheitslage zu bekommen und vor allem den nächsten Schritt in der Frage der Schul -Patenschaften zwischen Europa-Schulen in Schleswig-Holstein und Schulen im Kosovo voranzutreiben. Themen waren außerdem: das Wirken der internationalen Organisationen und unterschiedlichen Mandate der internationalen Gemeinschaft: UNMIK, ICO, EULEX, KFOR, Umwandlungen der KPC (Kosovo Police Corps )in die KSF (Kosovo Security Force) und Situationen in Nord Mitrovica

Serbische Blockadepolitik
Die Blockadepolitik Belgrads mit der Rückendeckung der Veto-Macht Russland gegenüber EULEX und dem Kosovo (besonders Nordkosovo und Nordteil von Mitrovica) hat sich trotz der seit den Wahlen pro-europäischen Regierung in Belgrad verfestigt. In den Kosovo-serbischen Gebieten sind durch Abhaltung eigener Wahlen Doppelstrukturen etabliert worden. Unsere serbischen Gesprächspartner in Nordmitrovica brachten ihre Haltung unmissverständlich auf den Punkt: Sie bestehen auf der Gültigkeit der Resolution 1244. Damit sei ihr einziger Gesprächspartner die UNMIK, die sie auch weiter im Norden tolerieren. EULEX sei völkerrechtswidrig und wenn die EU dennoch versuchen sollte, die Mission auch im Norden zu etablieren, könnte dies auch gewaltsame Auseinandersetzungen zur Folge haben.

Der jüngste (laut Belgrad fehl interpretierte) Vorschlag von Serbiens Staatspräsidenten Boris Tadic, als letzte Option die Teilung des Kosovos zuzulassen, in dem der Nordteil des Kosovos Serbien zugeschlagen wird, wird uns gegenüber strikt zurückgewiesen. Man würde niemals auf Kosovo verzichtet. Basta.

Belgrad und dessen Vertreter in Nordmitrovica spielen die Uneinigkeit innerhalb der EU über die Anerkennung Kosovos sowie die Widersprüche zwischen UNMIK, OSCE und EULEX geschickt gegeneinander aus. Hier fehlt eine Neutarierung der EU Erweiterungspolitik. Belgrad wird sich durch Visa-Erleichterungen, SAA Abkommen u.a. nur beeindrucken lassen, wenn die EU auch bereit ist, in der Kosovofrage eine härtere Gangart gegenüber Belgrad einzuschlagen.


Minderheiten
Trotz weitgehend durch den Ahtisaari-Plan garantierter Minderheitenrechte ist auf diesem Sektor integrationspolitisch noch kein Durchbruch erzielt worden. Die Konzentration der internationalen Gemeinschaft auf die Hauptkonfliktlinie zwischen Serben und Albanern lassen Probleme der übrigen Minderheiten des jungen Staates weitestgehend außer Acht. Teilweise verursachen Integrationsprobleme der kleinen Minderheiten des Landes eine Art Isolation dieser Gruppen, anstatt ein Zusammenleben zu fördern. Besonders die Roma leiden unter einer Isolation in der Bevölkerung. Argwohn bei der Kosovo-albanischen Bevölkerung verursacht in der Region Prizren die übermäßige Förderung der türkischen Minderheit durch den türkischen Staat. Die als Mamusa-Gemeinde bekannte türkische Ethnie wird durch Ankara mit Millionenbeträgen gefördert. Unter anderem werden Schulen und demnächst sogar eine eigene Universität gebaut. Die türkische CIMIC-Kompanie ist sehr präsent im Raum und setzt deutlich die nationalen Interessen der Türkei im Kosovo um, u.a. auch mit dem Angebot, kostenlos Beschneidungen durchzuführen.



Rechtschaos durch internationale Politik
Das Kompetenzgewirr der verschiedenen im Kosovo ansässigen internationalen Organisationen ist weder für Außenstehende noch für die Kosovaren selbst zu durchblicken. Zwei Jahre lang war das Planning Team der EU im Kosovo, um die Implementierung von EULEX vorzubereiten. Die EU ging davon aus, dass der UN Generalsekretär nach Erklärung der Unabhängigkeit Kosovos den Auftrag der UNMIK beenden und die EU mit dem Mandat zum Aufbau von Justiz, Gerichtsbarkeit und Polizei beauftragen würde. Dies ist ¬ñ aufgrund des insbesondere russischen Vetos ¬ñ bis heute nicht erfolgt. Kurz: Plan A ist gescheitert, Plan B gibt es nicht. Dies hat nicht nur zu einer halbjährigen Verzögerung des Aufbaus von EULEX geführt (dieser soll nun bis zum Ende des Jahres 2008 erfolgt sein), sondern führt im Land selbst zu Problemen:
• Faktisch ist EULEX UNMIK unterstellt
¬ï UNMIK verhandelt mit Belgrad, was die Position von EULEX schwächt
¬ï Ca 800 Akten über vermutliche Kriegsverbrecher liegen unter Verschluss bei UNMIK, obwohl gerade diese Fälle schnellst möglich durch EULEX aufgeklärt werden müssen. UNMIK hat im Zeitraum von 8 Jahren lediglich 12 Fälle aufgeklärt!
¬ï Es gibt noch über 1000 Fälle verschwundener Personen, deren Schicksal bzw. Exhumierung ebenfalls von höchster Bedeutung ist
¬ï Die 270 bereits vor Ort befindlichen von insgesamt 600 geplanten zivilen EU Polizisten haben weder angemessene Räumlichkeiten, noch Logistik und Ausstattung, selbst an Sprechfunkgeräten und Computern fehlt es
¬ï Der Zeugenschutz, der noch immer UNMIK unterliegt aber vollkommen versagt hat, kann nicht an EULEX übergeben werden

Diese Blockade zwischen UN und EU führt zu einer Destabilität im Land, die nicht von den Kosovaren - gleich welcher Ethnie - zu verantworten ist. Die Aufklärung von Kriegsverbrechen, der Kampf gegen Organisierte Kriminalität und Geldwäsche, die Einleitung eines Versöhnungs- oder zumindest Vertrauensprozesses zwischen den Ethnien kann nur erfolgen, wenn EULEX ungehindert wie vorgesehen tätig werden kann. Die kosovarische Regierung und das Parlament haben die zugesagten Schritte in wesentlichen Bereichen eingehalten. Es gibt eine Verfassung, der Ahtisaariplan wird auch heute noch als Grundlage angesehen, Polizeistellen in der KPS werden für Serben, die seit den Auseinandersetzungen im Frühjahr ihren Dienst dort quittiert haben freigehalten und vieles mehr.

Auch die Umwandlung der KPC in die KSF findet unter internationaler Beratung statt. Die zukünftige KSF soll 2500 Mann/Frau stark werden, Sicherheitsaufgaben im Kosovo wahrnehmen und 800 Reservisten ausbilden. Es wird keine Armee mit Panzern und Hubschraubern sein. Aber entscheidend wird sein, dass sie sich aus Albanern, Serben und Roma rekrutiert. Ein Sicherheitsgefühl werden sie der gesamten Bevölkerung erst vermitteln können, wenn auch sicher ist, dass keine ehemaligen Kriegsverbrecher in der KSF ihren Dienst ableisten.


Trotz drohendem Vertrauensverlust für EULEX Implementierung auch im Norden?
In der aktuellen Blockadesituation hat der jüngste Vorschlag Ban-Ki Moons, EULEX der UNMIK auf der Grundlage von 1244 zu unterstellen und damit auch die Einwilligung Belgrads zu gewinnen, dass EULEX im Norden Kosovos implementiert werden darf, höchste Brisanz. Die EU Polizisten sind keine Streitkraft, die sich selbst verteidigen kann und auch nicht soll. Sollte Moons Vorschlag umgesetzt werden, dann muss die EU mit Serbien über einen Gewaltverzicht verhandeln. Die Unversehrtheit der zivilen Polizisten im gesamten Kosovo muss garantiert werden. Eine regionale Aufgabentrennung aber (UNMIK im Norden, EULEX im Süden) würde ein faktische Trennung Kosovos implizieren. Ein Spiel mit dem Feuer, weil dann auch andere Grenzfragen aufbrechen würden.
Grundsätzlich wichtig für die EU-Mission ist, dass sie transparent bleibt und verhindert, interne Verfehlungen (kriminelle Machenschaften und Korruption) von UNMIK zu wiederholen. Gleiche Transparenz gilt für den Einsatz sämtlicher EU-Gelder im Kosovo. Der Einsatz der auf der letzten "Donors Conference" in Brüssel im Juli 2008 zugesagten Gelder von 1,2 Milliarden Euro muss nachvollziehbar sein, ebenso wie der immer noch vorhandene Überschuss von Gebergeldern im Wert von 300 Millionen im Haushalt des Kosovos gerechtfertigt werden muss.

KFOR Planungen
Die derzeitige Sicherheitssituation im Kosovo rechtfertigt in absehbarer Zeit eine Reduzierung der KFOR-Truppen auf eine Personalstärke von rund 8.000 Soldaten. Diese Verringerung sollte aber nicht durch lineares abschmelzen erfolgen, sondern sich nach den unterschiedlichen Sicherheitslagen im gesamten Kosovo richten.
Auch im CIMIC Bereich ist der Bedarf an Unterstützung bald abgedeckt. Die Kosovaren können und müssen viele Bereiche selbst in die Hand nehmen. Zahlreiche Truppenbesuche auch im Kosovo haben mir deutlich gemacht, dass eine Kernvoraussetzung für einen stabilen Frieden die Bildung ist. Gerade bei einer so jungen Gesellschaft wie im Kosovo. Bildung und zivilgesellschaftliche Kontakte können an die von CIMIC geleistete Arbeit (z.B. Wiederaufbau von Schulen) anknüpfen.

Schulpatenschaften: ein Schritt nach vorn


Neben politischen Ergebnissen und Forderungen muss aber auch für zwischenmenschliche Schritte Zeit sein, damit die Menschen, besonders die jungen Menschen im Kosovo erleben, dass Europa erlebbar ist. Das bedeutet neben Erleichterung der Visa-Bestimmungen auch direkte Kontakte. Auf der Grundlage des von mir im April 2008 initiierten Aufrufes für Schulpatenschaften, der von den Europaschulen und der Europa Union Schleswig-Holstein, Schüler Helfen Leben u.a. getragen wird, fand der erste Besuch einer Lehrerin aus Neumünster in einer Schule in Orahovac statt. Der kosovarische Erziehungsminister hat mit Skender Xhakaliu einen Beauftragten dafür ernannt und mit einem kleinen Etat ausgestattet. Dieser hat uns bei diesem ersten Kontakt ebenso begleitet wie der örtliche Vertreter von Schüler Helfen Leben. Das macht Hoffnung und Mut für weitere Schritte auch mit anderen Schulen. Bildungsarbeit ist Friedensarbeit!

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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