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Angelika Beer
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Auþenpolitische Jahrestagung der Heinrich-B–ll-Stiftung: Eine Gesamtperspektive f¸r den Balkan

Berlin, 06./07.07.2006

Europa muss auch bei Problemen als Ganzes gedacht werden

Angelika Beer*

Als Erstes m–chte ich kurz umreiþen, wo die Europ”ische Union steht, wie es eigentlich um Anspruch und Wirklichkeit der EU-Erweiterungspolitik steht, was den Balkan und S¸dosteuropa betrifft, und ob sich der politische Anspruch in der Europ”ischen Union ge”ndert hat. Dann m–chte ich nat¸rlich auch die Frage stellen, wo M–glichkeiten und Handlungsf”higkeiten sind und als Letztes eine provokante These in den Raum stellen, weil ich glaube, dass wir strategisch neu denken m¸ssen und auch bisherige Tabus offen diskutieren m¸ssen.

Wir haben die –sterreichische Pr”sidentschaft gerade verabschiedet. Viele von uns haben groþe Hoffnungen in dieses halbe Jahr gehabt, das jetzt abgeschlossen ist. Denn klar war, dass ÷sterreich als Quasi-Nachbar des Balkans ein immenses Interesse hat, diese EU-Perspektive klarer zu definieren.

Mich fragte neulich eine Journalistin: Frau Beer, wie bewerten Sie das jetzt? Das Res¸mee f¸r mich ist, dass die –sterreichische Pr”sidentschaft zumindest das Schlimmste verhindert und einiges erreicht hat. Damit will ich aber auch deutlich machen, dass wir als Gr¸ne vor politischen Herausforderungen stehen, die wir jetzt auch im Hinblick auf die deutsche Pr”sidentschaft vorbereiten. Denn jetzt ist Finnland federf¸hrend und in einem halben Jahr wird das Zepter dann weitergereicht an die Bundeskanzlerin als Ratspr”sidentin der Europ”ischen Union.

Seit Thessaloniki gibt es eine verbindliche Zusage an die Balkenstaaten, dass sie zur Europ”ischen Familie geh–ren. Aus Gr¸ner Sicht sagen wir ganz klar, dass es so etwas wie eine Vereinigung des Balkans mit Europa ist. Das unterstreichen wir auch mit unserem Positionspapier zur Erweiterungspolitik der Europ”ischen Union, das die Gr¸nen-Fraktion im EP auf Initiative von Joost Lagendijk und mir diese Woche in Strassburg verabschiedet hat. Ich gehe weiter und sage, es ist eine Wiedervereinigung und eine ganz andere Debatte als die ¸ber die T¸rkei. Politische Zusagen, die gemacht worden sind, d¸rfen nicht revidiert werden. Es ist eine Frage der Glaubw¸rdigkeit f¸r die gemeinsame Auþen- und Sicherheitspolitik der Europ”ischen Union, es ist eine Frage der Friedenspolitik der Europ”ischen Union und insofern darf es dort keine Zwischenstufen geben.

Ich will hier die einzelnen Positionen jetzt schildern, wie sie die reale Debatte im Europaparlament bestimmen.

Die Sozialdemokraten im EP haben den ersten Anstoþ daf¸r gegeben, die bisherige klare politische Zusage zu revidieren. Man muss dabei immer die Verfassungsdebatte und die nationalen Befindlichkeiten der Mitgliedsstaaten im Kopf haben: Die Verfassung ist gescheitert, jetzt m¸ssen wir dar¸ber nachdenken. Europa denkt jetzt schon ein Jahr dar¸ber nach und Europa hat beschlossen, noch weiter dar¸ber nachzudenken. Hier gibt es eine Positionsverschiebung. Aufgrund der Stimmungslage in den Mitgliedsstaaten wird die Erweiterungspolitik genutzt, um emotional Stimmen zu fangen, und die Perspektive auch f¸r den Balkan in Frage gestellt.

Und gerade hat der CSU-Kollege Posselt ein Positionspapier der CSU herumgeschickt, wo gesagt wird, das einzige Land, das eine klare Perspektive habe, sei Kroatien. Kroatien sei ganz toll. Kroatien sei fast schon wie die Schweiz (nur die Schweiz will ja nicht nach Europa). Aber nach dem Beitritt der ªSchweiz´ ist Schluss. Dann m¸sse es eine Reflexionsphase geben und alle nicht wirklich europ”ischen L”nder, ausgenommen Kroatien, m¸ssten eine andere Perspektive bekommen. Dabei z”hlt er dann nat¸rlich auch die T¸rkei und so weiter mit auf. Ganz anders sieht er das im Hinblick auf die Ukraine. Die sei europ”isch. Die m–chte er dann irgendwann auch gern noch aufnehmen. Aber ansonsten sei Schluss.

Im Ergebnis heiþt das: Die groþe Koalition bereitet innerhalb des Europ”ischen Parlaments den Boden f¸r einen Ñdritten Wegì. Das heiþt dann auch 'Neue Nachbarschaftspolitik'. Das ist ein Wort, das jetzt die deutsche Bundesregierung gerade pr”gt. Die deutsche Bundesregierung hat in Vorbereitung der Pr”sidentschaft ab Januar bereits ein neues Konzept f¸r die zuk¸nftige Osteuropapolitik erarbeitet. Das ist noch nicht ver–ffentlicht, aber es ist anzunehmen, dass es darauf gerichtet ist, eine Position zu den Balkanl”ndern tats”chlich jetzt auch schon zu konkretisieren. Wir gehen davon aus, das ab Januar diese neue Nachbarschaftspolitik dann dahinf¸hren soll, das der Balkan keine direkte Beitrittsperspektive mehr hat.

Nat¸rlich ist es wichtig, dass wir im Rahmen der in zwei L”ndern abgelehnten Verfassung eine Weiterentwicklung von Nizza betreiben. Nat¸rlich ist es notwendig, dass wir die Strukturen der Europ”ischen Union ver”ndern. Nizza reicht nicht aus. Aber wir lehnen die Vervollst”ndigung und Vollendung der Europ”ischen Reform als Voraussetzungen f¸r weitere Ðberlegungen zu den Perspektiven des Balkans ab, weil wir glauben, dass wir diese Zeit nicht haben.

Ist die EU wirtschaftlich und politisch in der Lage, neue Mitglieder aufzunehmen? Ich denke, man muss das Ganze ein bisschen enttabuisieren. Die Balkanl”nder sind von der Gr–þe und von der Konstitution her etwas vollkommen anderes als die letzte groþe Osterweiterung.

Die Europ”ische Union hat in Hinblick auf die Diskussion Rum”nien und Bulgarien ihre Glaubw¸rdigkeit verloren. Das ist meine Sicht der Dinge. Es war ein absoluter Fehler, fr¸hzeitig festzulegen, dass zwei L”nder sp”testens 2008 aufgenommen werden. Wir haben jetzt die Situation, dass Rum”nien sich sehr viel weiter nach vorne entwickelt hat als Bulgarien. Das Parlament hat die Entscheidung ohne Not aus der Hand gegeben. Das Parlament hat sich darauf eingelassen - nicht die Gr¸nen, aber der Rest. Bei dem einzigen Punkt, bei dem wir ein Mitentscheidungsrecht haben, hat das Parlament dem Zeitplan 2008 zugestimmt. Jetzt stehen wir vor der Situation, dass wir erkl”ren m¸ssen, warum Bulgarien das gr¸ne Licht bekommen wird, obwohl es in der Wirtschaftsfrage, der Kriminalit”tsfrage, der Korruption oder dem Frauenhandel - ich kann nicht alles aufz”hlen - alles andere als die Kopenhagener Kriterien erf¸llt hat. Wir haben mit den Zusagen f¸r Rum”nien und Bulgarien unsere Glaubw¸rdigkeit auch gegen¸ber der T¸rkei verspielt, der wir sagen, die Kriterien m¸ssen erf¸llt sein.

Wer soll daf¸r bezahlen? Die Balkanl”nder? Ich denke, nein. Wir m¸ssen politisch offensiv in diese Diskussion reingehen. Und insofern glaube ich, dass auch die nationalen Befindlichkeiten und die Verfassungsdiskussion nicht vorgeschoben werden d¸rfen, um die Balkanfrage zu verschieben.

Wenn wir eine glaubw¸rdig Perspektive f¸r den Balkan aufbauen - und wer soll das machen, wenn nicht ein Think-Tank wie die Heinrich-B–ll-Stiftung und die Gr¸ne Partei - m¸ssen wir eine greifbare EU-Perspektive entwickeln, weil wir sonst den Frieden und die Herzen auf dem Balken verlieren.

Es w”re blau”ugig zu glauben, dass der Integrationsprozess alleine die ethnischen Konflikte l–sen k–nnte, aber er kann das Umfeld f¸r Vers–hnung schaffen. Wir werden ab 2007 neue Instrumente der Auþenpolitik haben. Wir haben sie gestern in Strassburg beschlossen. Ein Instrument f¸r Nachbarschaftspolitik, f¸r Erweiterungspolitik und ein Stabilit”tsinstrument, f¸r das ich die Verantwortung getragen habe. Gerade das Stabilit”tsinstrument wird relevant f¸r den Balkan, weil wir daraus ab 2007 zivile Maþnahmen z.B. im Bereich Vers–hnung und Mediation aktiv finanzieren k–nnen. Eine wichtige Neuerung will ich hier nicht unerw”hnt lassen: Zum ersten Mal in der Auþenpolitik eine Mitbestimmung des Parlaments geben wird, ein R¸ckrufrecht des Parlaments. Das ist einer der zentralen Erfolge, den ich w”hrend des 18-monatigen Streits mit der Kommission und dem Rat verhandeln konnte. Und auch da sei ÷sterreich noch einmal positiv erw”hnt. Ohne die ÷sterreicher h”tten wir diesen Schub f¸r die zivile Interventionsf”higkeit der EU nicht geschafft. Gerade aus Frankreich und Deutschland kamen vehemente Widerst”nde, um in diesem Bereich der zivilen Auþenpolitik jetzt wirklich den groþen Fortschritt zu erzielen. Trotzdem haben wir es geschafft.

Ihr habt nach der GASP gefragt, die nach der Vollendung des Binnenmarktes oftmals als neuer Integrationsmotor der Union beschworen wurde. Kann die S¸dosterweiterung der EU neuen Anschub geben? Die GASP und die ESVP sind tats”chlich die letzten Felder, die sich nach wie vor stark entwickeln. Man muss ganz klar sagen: wenn die S¸dosterweiterung gelingt, hat sich die GASP dort ¸berfl¸ssig gemacht. Da wird es noch einen weiten Weg geben, aber das macht deutlich, dass die Erweiterungspolitik eines unserer wichtigsten sicherheitspolitischen Instrumente ist.

Als letztes spreche ich die Rolle der Amerikaner an. Ich glaube, man sollte klar sagen, ohne die Amerikaner h”tten wir heute m–glicherweise nach wie vor einen virulenten B¸rgerkrieg auf dem Balkan. Europa hat seine politische Aufgabe damals nicht wahrgenommen, hat die Instrumente wahrscheinlich auch nicht gehabt, aber auch nicht den politischen Willen, das Schlimmste zu verhindern.

Die Amerikaner haben heute noch eine entscheidende Rolle. Sie werden sich milit”risch, aus meiner Sicht, weitestgehend aus dem Balkan zur¸ckziehen. Sie werden aber weiter pr”sent sein, in der ganzen Frage der geheimdienstlichen T”tigkeit. Bondsteel wird erhalten bleiben. Das Thema CIA-Fl¸ge wird uns, bef¸rchte ich, auf dem Balkan noch l”nger besch”ftigen.

Die Amerikaner werden immer wieder kritisiert f¸r ihr Auftreten im Balkan. Ich denke, hier ist es n–tig zu differenzieren, ich will den Verfassungsprozess in Bosnien als Beispiel nehmen. Die Europ”er waren nicht pr”sent, als es um die Verhandlung der Verfassung ging und Bosnien eben auch auf dieser Ebene die EU-Perspektive zu erm–glichen. Weil die geltende Verfassung nicht EU kompatibel ist, haben sich die Europ”er nicht aktiv eingeschaltet, sondern das Feld den Amerikanern ¸berlassen. Und dann haben wir kritisiert, wie die Amerikaner es getan haben. Aber man sollte der EU nicht immer das breite Feld der Harmonie ¸berlassen. Die EU hat auch in diesem Fall politisch ihre Hausaufgaben nicht erledigt.

Zum Schluss die These, die keine gr¸ne, sondern eine These von Angelika Beer ist: Ich glaube, wir m¸ssen ¸berlegen, ob wir dabei bleiben zu sagen, jedes Land entscheidet f¸r sich, ob es die Kriterien der EU erf¸llt, und wenn es dann alle Kriterien erledigt hat, entscheidet die EU, ob es die Mitgliedschaft bekommt oder nicht. Ich glaube, dass wir diese Vorgehensweise f¸r den Balkan nicht mehr aufrechterhalten k–nnen.

Ich glaube, dass wir die Stabilisierungsprozesse f¸r die Balkanl”nder, insbesondere nat¸rlich auch f¸r Serbien, auf neue Beine stellen m¸ssen. Wir m¸ssen sehen, dass wir nicht diejenigen immer mehr finanziell belohnen, die schon einen Schritt n”her durch Assoziationsabkommen an die EU rangekommen sind und dadurch noch mal mehr Geld bekommen. Sondern wir brauchen eine wirtschaftliche Stabilisierung der Gesamtregion, d.h. wir m¸ssen anders verteilen. Ich glaube, wir m¸ssen dem Gesamtbalkan als Package eine Beitrittsperspektive erm–glichen, weil das die einzige M–glichkeit ist, auch die ethnischen Konflikte zu moderieren und langfristig auch eine Entsch”rfung hineinzubekommen.

Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass das Dayton-Abkommen und die Resolution 1244 die ethnische Trennung auf dem Balkan manifestiert haben. Mit dieser ethnischen Trennung und auf der Grundlage dieser Vertr”ge kommen wir nicht weiter. Das gleiche Ergebnis werden wir in Mazedonien haben. Es gibt die ethnische Trennung zwischen Albanern und Mazedoniern, wenn das Ohrid-Abkommen vollkommen umgesetzt ist. Und deswegen sage ich: wir m¸ssen den Mut haben, eine neue Perspektive f¸r den Balkan zu diskutieren, wo die ganzen Befindlichkeiten und Vorw”nde und das Dr¸cken vor politischer Verantwortung beiseite geschoben werden. Nat¸rlich werden wir auch in Zukunft Mandate haben. Wir, damit meine ich die EU, haben die volle Verantwortung f¸r die zivile, polizeiliche und milit”rische Pr”senz in Bosnien-Herzegowina. Wir werden sie mit Sicherheit ¸bernehmen im polizeilichen Bereich f¸r den Kosovo, wenn die Statusfrage gekl”rt ist. Diese muss meines Erachtens in diesem Jahr in Form einer konditionierten Unabh”ngigkeit gekl”rt werden.. Und wir m¸ssen Serbien, daf¸r dass es jetzt noch einmal einen ñ aus seiner Sicht ñ bitteren Preis zu bezahlen hat, eine klare Perspektive anbieten. Wir werden uns nicht auf Ewigkeiten hinter der KaradûiÊ-Frage verstecken k–nnen. Irgendwann wird er nicht mehr da sein und dann sind wir politisch gefragt.

Wir sollten das Konzept vorher erarbeiten und ich hoffe, dass das ein kleiner Anstoþ ist f¸r eine durchaus strittige Diskussion. Wir sind in der Verantwortung, auf dem Balkan jetzt politisch zu arbeiten.

*Abgeordnete des Europaparlamentes von B¸ndnis 90/Die Gr¸nen.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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