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Angelika Beer
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Grüne auen- und sicherheitspolitische Bilanz der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft

28.06.07

von Angelika Beer MdEP

Sechs mal trafen sich alleine unter deutscher Ratspräsidentschaft die 27 Auenminister. Dutzende Seiten Schlussfolgerungen und Erklärungen wurden dabei produziert. Der Bogen wurde gespannt von Afghanistan, über Kosovo, Russland, Nahost, über Usbekistan bis hin zum Sudan. Es entsteht der Eindruck einer gewaltigen gemeinsamen Auenpolitikmaschine. Doch dieser Eindruck täuscht. Nichtssagende Floskeln wurden wiederholt, Absichtserklärungen zitiert. Keine von Ihnen veränderte die Wirklichkeit in den Krisenregionen - und wenn, dann nur dadurch, dass die Enttäuschung vor Ort wuchs, dass die EU nichts unternahm. Von eigenen Strategien und Position, der EU als ein "globaler Akteur" kann keine Rede sein. Diese enttäuschende Bilanz ist jedoch nicht nur der deutschen Regierung, sondern vor allem auch anderen Mitgliedstaaten anzulasten. Von einer Gemeinsamen Auen- und Sicherheitspolitik, die diesen Namen verdient, war in der Realität wenig zu spüren.

Was hatte sich die deutsche Präsidentschaft nicht alles vorgenommen: Eine gemeinsame Haltung und Klärung des Kosovo-Status, eine pro-aktive Nahost-Politik, und endlich eine härtere Gangart gegenüber dem Regime im Sudan. Die Bilanz ist ernüchternd. Insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass zu vielen auen- und sicherheitspolitischen Problemen eine ganze Reihe von Lsungsansätzen im Umlauf sind.


Gipfel - die auenpolitischen Bestimmungen im "Grundlagenvertrag"
Als Grüne haben wir die auenpolitischen Neuerungen, die der ursprüngliche Verfassungsvertrag vorgesehen hatte, immer ausdrücklich begrüt. Abgesehen von der in einem Verfassungsvertrag vollkommen deplazierten Festschreibung der inzwischen realisierten Verteidigungsagentur, zielten die geplanten Neuerungen ausschlielich auf eine institutionelle Stärkung der Auenpolitik ab. Sie versprachen mehr Kohärenz, Kontinuität und damit letztendlich mehr Effektivität und Sichtbarkeit. Vor dieser Folie sind die Bestimmungen des auf dem Brüsseler Gipfel verabschiedeten Fahrplans für einen "Grundlagenvertrag" positiv, obwohl noch einige Fragen offen bleiben.
So konnten trotz britischer Angriffe die wesentlichen Funktionen eines "Europäischen Auenministers" auch unter dem anderen Namen "Hoher Vertreter für der Union für die Gemeinsame Auen- und Sicherheitspolitik" bewahrt werden. Der neue Doppelhut bedeutet de facto eine Verschmelzung der Posten von Ferrero-Waldner und Solana. Der Hohe Beauftragte übernimmt das Amt des Vizepräsidenten der Kommission. Er wird mit einem eigenen und - wie man hrt - nicht unbedeutenden Budget sowie einem eigenen "Auswärtigen Dienst" ausgestattet. Hier stellt sich einerseits die Frage, wo das Budget angesiedelt ist, und ob es vom Europäischen Parlament kontrolliert werden kann und zum anderen, wo genau der Dienst lokalisiert ist. Wir haben uns bereits in der Vergangenheit dafür eingesetzt, dass dieser in Kommissions-Nähe und nicht beim Rat aufgebaut wird. Denn sonst wird eine integrierte und präventive europäische Auen- und Sicherheitspolitik nie gelingen, weil sie Auenhandel, Klima, Energie aber auch Fischerei und Armutsbekämpfung nicht im Blick hat. Schlielich ist auch der 2,5 jährige Vorsitz des Europäischen Rates grundsätzlich aus auenpolitischer Sicht zu begrüen, weil auch hierdurch mehr Kohärenz und Kontinuität zu erwarten ist. Es stellt sich hierbei allerdings die Frage, wie diese zur bleibenden sechsmonatigen Präsidentschaft im Ministerrat koordiniert wird. Auch ist noch unklar, wie sich die von niederländischer Seite eingeforderte Nennung der Kopenhagener Kriterien im Vertrag auf zukünftige Erweiterungen auswirken wird. Es ist zu erwarten, dass es in den nächsten Monaten bei der Ausformulierung noch heftige Auseinandersetzungen geben wird, weil einige Mitgliedsstaaten Ausschlusskriterien im Sinne eines Erweiterungsstopps formulieren wollen. Die Interpretation des Gipfelergebnisses Richtung Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten ist auenpolitisch nicht absehbar. Der Auswärtige Ausschuss wird seine Position dazu einbringen. Die Beibehaltung der Einstimmigkeit in GASP-Fragen droht die EU jedoch weiter zu lähmen.

Abrüstung
Wenige Wochen vor Beginn der Ratspräsidentschaft hatte Auenminister Steinmeier neue Abrüstungsinitiativen in Interviews angekündigt. In Zeiten von US-Raketenabwehr und russischen Drohgebärden mit Offensiv-Raketen wäre eine solche Initiative sowohl im Kontext EU als auch G8 sehr wünschenswert gewesen. In einem Entschlieungsantrages der Groen Koalition zum NATO-Gipfel in Riga im Bundestag war sogar die Rede vom Rückzug der 480 US Atomwaffen aus Europa. Doch anstatt diesen von Grüner Seite geforderten Pfad zu folgen und dem wieder aufflammendem Wettrüsten einen anderen Trend entgegen zu setzen, lässt sich die Abrüstungspolitik als entweder nichtexistent, oder kontraproduktiv beschreiben. Das berleben der regelbasierten multilateralen Abrüstung und Rüstungskontrolle zu garantieren, war keine Priorität.

So gab es kein Widerstand der Ratspräsidentschaft gegen den geplanten US-Indien Deal zur nuklearen Zusammenarbeit, welcher klar gegen die Idee des Nichtweiterverbreitungsvertrages verstt. Auf der anderen Seite wird Iran mit neuen UN-Sanktionen belegt. Die US-Raketenpläne, obwohl sie potentiell das EU-Territorium in Zonen unterschiedlicher Sicherheit aufteilen würden und mit der "Irak-Konsultationsmethode" von amerikanischer Seite angegangen wurden, wurden von den Tagesordnungen der EU-Auenminister ferngehalten. Die Pläne stehen im krassen Gegensatz zur EU-Strategie gegen Massenvernichtungswaffen und werden auf lange Zeit jede EU-Manahme auf diesem Gebiet konterkarieren. Auch die Ankündigung Putins, den KSE-Vertrag einzufrieren, wurde nicht auf EU-Ebene diskutiert, obwohl man in Verhandlungen über ein neues Abkommen mit Russland war. Schlielich lässt sich auch für den Klein- und Sprengwaffenbereich ein negatives Fazit feststellen: Die von Grüner Seite ins Europäische Parlament eingebrachten Forderungen nach einem weltweiten Verbot von Streumunition wird von der deutscher Regierung konterkariert: Mit einem Acht-Punkte-Plan wird eine vermeidlich "technisch saubere Lsung" in den kürzlich gestarteten Oslo-Prozess eingeschleust, welcher lediglich Standards für erlaubte "Fehlerquoten", nicht aber ein Verbot, erwirken soll.


Naher Osten
Im Nahen Osten hatte die EU auch unter deutscher Präsidentschaft keine eigene Politik entwickeln knnen. Es war die Geschichte einer fehlenden eigenen Strategie, der verpassten Chancen und der Unterwürfigkeit gegenüber den USA. Schon vor einem Jahr wurde der Grundstein für das jetzige Desaster mit der Entscheidung gelegt, die Fatah-Hamas Regierung nicht anzuerkennen und jegliche Verhandlungen mit der Hamas von vorne herein abzulehnen. Auch die bemerkenswerte Mekka-Erklärung der arabischen Liga vor wenigen Wochen wurde lediglich freundlich zur Kenntnis genommen. Nach dem kurzen Bürgerkrieg in Gaza reichte der Besuch der israelischen Auenministerin Livni und ein Anruf aus Washington: die EU-Auenminister entschieden sich für die gefährliche Strategie der Isolierung Gazas und die parallele Fixierung auf die Notstandsregierung unter Abbas. Die finanzielle und militärische Unterstützung von Abbas manifestiert die Spaltung Palästinas und riskiert eine Radikalisierung im gesamten arabischen Raum.
Das kurze Zeitfenster zur Entsendung einer UN-mandatierten Friedenstruppe wurde zwar von Solana aufgegriffen, von der Präsidentschaft aber im Keim erstickt. Die Zustimmung der EU, Tony Blair als Nahostbeauftragen des Quartetts zu benennen, konterkariert alle Friedensbemühungen.

Balkan
Für 2006 war den Menschen im Kosovo eine Entscheidung über den seit sieben Jahren unklaren vlkerrechtlichen Status versprochen worden. Die EU konnte sich unter der deutschen Präsidentschaft einer Abfolge von verpassten Gelegenheiten rühmen. Trotz allen über die Jahre produzierten Absichtserklärungen, dass der Balkan zur EU gehre, hat man sich das Heft des Handels ohne Not von den Russen und Serben aus der Hand nehmen lassen. Dabei hat das Kosovo eine Beitrittsperspektive und gleich mehrere EU-Missionen sollen das Land in Zukunft auf den Weg der Rechtsstaatlich und Demokratie bringen. Doch zu spät folgte ein klares Bekenntnis zum Plan von Ahtisaari und die Forderung nach einer baldigen UN-Sicherheitsratsresolution. Im Mai wäre es politisch hchste Zeit gewesen, um Russland mit einer geschlossenen Front der Befürworter des Ahtisaari-Plans zu konfrontieren. Erst am 18. Juni war es Auenminister Steinmeier überhaupt gelungen, das Thema auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats zu bekommen. Nun ist vllig unklar, wie es weiter gehen soll - insbesondere auch nach den pro-russischen uerungen des neuen franzsischen Präsidenten beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Offiziell ist klar, dass die geplante ESVP-Mission ohne eine andere vlkerrechtliche Grundlage nicht beginnen kann. Zu erwarten ist, dass die Kosovaren sich recht bald von der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der Kontaktgruppe und der EU, so hingehalten fühlen, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Die EU steht dann auch ohne UN-Sicherheitsratsresolution in der Pflicht eine andere Grundlage zu finden.

Im Fall Serbien droht die EU-Politik skurril und widersprüchlich zu werden. Belgrad bestimmt mittlerweile die Richtung. Nach der Festnahme von einem der gesuchten Kriegsverbrechers in Bosnien hat die EU die Verhandlungen mit Serbien (SAA) wieder aufgenommen. Auch in der entscheidenden Kosovo-Frage scheint Belgrad den Takt vorzugeben. So hat Belgrad - und nicht die EU - die EU-Annäherung Serbiens mit der Statusfrage verknüpft und ist auf keinen nennenswerten Widerstand gestoen. Anscheinend waren sich die EU-Auenminister nicht einig genug und die Präsidentschaft nicht stark genug, um Belgrad deutlich zu signalisieren, dass nur eine konstruktive Haltung in der Kosovo-Frage zu einer Annäherung an die EU führen kann.

Darfur
Darfur war der traurige Hhepunkt der Verantwortungslosigkeit. Während uns täglich neue Schreckensmeldungen aus Darfur und der Grenzregion zum Tschad erreichten, gelang der EU-Präsidentschaft nichts anderes als ihr tiefstes Bedauern über die Lage auszudrücken. Das hilft und half den Opfern nicht. Am 18. Juni erklärt Steinmeier via Schlussfolgerungen: "We will consider further measures" und betont im Abschlusstext, dass nur die UN ein geeigneter Handlungsrahmen für Manahmen in Darfur seien - und stellte zugleich klar, dass Deutschland sich nicht mit Bundeswehrsoldaten an einer UN-Mission beteiligen wird. Im Kontext dieser Krise bedeutet dies aber Stillstand, da China und Russland alle harten Sanktionen im Sicherheitsrat verhindern. Die USA zeigen sich hier entschlossener, und haben sich für nationale Sanktionen entschieden - Wirtschaftssanktionen in Bereichen, wo es dem Regime weh tut. EU-Sanktionen dagegen stehen trotz intensiven Lobbyings von Human Rights Watch und anderen überhaupt nicht zur Diskussion. Die Sudan-Geschäfte einiger Mitgliedstaaten laufen, als ob nichts wäre. Nur wenige Mitgliedstaaten haben sich im Juni-Rat bereit erklärt, Geld zu geben. Sogar Staatsminister Gloser sprach davon, dass es so nicht ginge: Soldaten ohne vernünftige Ausrüstung und Besoldung in ein solches Krisengebiet zu schicken wäre unverantwortlich. Die Chance im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 Druck auf China auszuüben, hatte die Präsidentschaft nicht genutzt.

Afghanistan
Die internationale Gemeinschaft, namentlich NATO, UNO und EU sind dabei, den Kampf um den Wiederaufbau des Landes zu verlieren. Wie auch im Fall Nahost, waren die EU-Auenpolitiker bisher nicht in der Lage, eine eigene Afghanistan-Strategie bzw. zumindest die Strategie von NATO und USA zu beeinflussen. Anstatt ein Ende der Operation Enduring Freedom zu fordern, ist man lediglich den Drängen von NATO und EU nach Unterstützung im Polizei-Bereich nachgekommen. Nach langem Ringen werden nun 160 EU-Polizisten nach Afghanistan entsandt. Dafür stehen 40 Mio. an finanzieller Ausstattung bereit. Sie verstärken die 40 deutschen Polizeiausbilder in der Ausbildung von Führungspersonal. Diese Manahme ist nur ein Tropfen auf den heien Stein. Die USA haben auf ihre Art ein deutlicheres Zeichen gesetzt - sie haben über 3 Mrd. für die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Armee durch zivile Unternehmen in Kurzlehrgängen bereitgestellt.

Iran
Auch beim Thema Iran ist die EU auf Wackelkurs. Einerseits kann sie sich nicht entscheiden, ob sie sehr bald Wirtschaftssanktionen, die der europäischen Wirtschaft tatsächlich wehtun würden, verhängen soll, oder ob der Ist-Zustand, in der Hoffnung auf positive Signale aus Teheran, weiter verfolgt werden sollte. Die unklare Haltung bestärkt die Hardliner sowohl in den USA als auch in Teheran. Es bestärkt nicht nur die US-Politiker, die schon jetzt Druck auf legal mit dem Iran Handel treibende europäische Firmen ausüben, sondern auch solche, die immer offener einen Militärschlag fordern. Der Stillstand und die Phantasielosigkeit werden auf Dauer kein Rezept gegen eine mgliche Eskalation in Iraks und Afghanistans Nachbarland sein. Hier gilt es schnell eine neue gemeinsame und stringente Verhandlungsstrategie zu entwickeln, die auf Vorbedingungen verzichtet. Diese Chance hat die Deutsche Präsidentschaft vertan und darauf verzichtet, im Rahmen der Energie-Klima- und Abrüstungspolitik eine Wende einzuleiten.


Russland
Russlands neues Selbstbewusstsein zeigt nur zu deutlich wie wenig gemeinsam die europäische Auen-, Menschenrechts- aber auch Energiepolitik ist. Ob bei der Frage zu bilaterale Energieverträgen (Ostseepipeline), auf Einmischung in innere Angelegenheiten eines EU-Landes (Estland), der Bedrohung von Polen oder der tschechischen Republik mit Raketen, der Ermordung von "Oppositionellen" auf EU-Territorium (Litwinenko etc.) und im Lande (Politkowskaja etc.), oder die harte Haltung zur Kosovo-Frage: Die EU hat dazu bislang keine gemeinsamen Positionen und Aktionen beschlossen. Vielmehr sind einzelne Mitgliedstaaten alleine gelassen worden. Die fehlende gemeinsame "Russland-Position" oder Politik zeigt sich am deutlichsten in der Frage des auslaufenden Partnerschaftsabkommens. Unter deutscher Präsidentschaft war es nicht gelungen, sich auf ein Verhandlungsmandat für ein neues Abkommen zu einigen und die Verhandlungen zu beginnen. Russland weigerte sich weiterhin, die Energiecharta zu unterzeichnen. Damit ist eine Verknüpfung von Energie- und Sicherheitspolitik fürs erste gescheitert.

Menschenrechte
An der Haltung zu Usbekistan zeigt sich beispielhaft, was unter EU-Menschenrechtspolitik in der Realität zu verstehen ist. Obwohl das Massaker an 500 Demonstranten nicht aufgeklärt ist, werden die Sanktionen gelockert. Nicht nur das: In der am 18. Juni auf dem Auenministertreffen verabschiedeten Zentralasienstrategie wirbt die deutsche Präsidentschaft unter Federführung von Auenminister Steinmeier um einen engeren Dialog mit den ressourcenreichen Ländern dieser Region. Staatsminister Gloser bedauert das einen Tag später vorm Europaparlament: Es ginge wirklich nicht nur um Ressourcen, sondern auch um echten Dialog.

 

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Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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