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Angelika Beer
MdEP

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"Es kann beim kleinsten Funken wieder hochgehen"

31.10.2006

Frankfurter Rundschau: Wie überraschend kommt für Sie die Ankündigung des Verteidigungsministers Jung, die Bundeswehr von Dezember an stufenweise aus dem Balkan abzuziehen?

Angelika Beer: Jung und auch sein SPD-Vorgänger Struck haben ausgesprochen, was ohnehin lange diskutiert wird. Die deutschen Soldaten sind in die EU-Truppe Eufor eingebunden, so dass Deutschland darüber gar nicht allein entscheidet. Für die Eufor ist das Ziel klar, mittelfristig weniger Soldaten und mehr Polizei in die Region zu bringen - das ist nichts Neues. Dass die Regierung jetzt eine Schlagzeile produzieren wollte, liegt wohl eher an der aktuellen Debatte um die Bundeswehr in Afghanistan und Libanon.

Befürworten Sie reduzierte Truppen?

Sicher, alle wollen reduzieren, nicht zuletzt die Amerikaner. Mittelfristig ist das vollkommen vernünftig - aber nur, wenn die Sicherheitslage es erlaubt. Und da ich davon ausgehe, dass die Bundeswehr keinen nationalen Alleingang plant, kann die Entscheidung nur nach Absprache mit Bosniens Regierung und im Bündnis getroffen werden.

Ist die Lage dafür stabil genug?

Dabei muss man die Lage in der gesamten Region betrachten. Da sich die Entscheidung über eine Autonomie Kosovos nun durch die Neuwahlen in Serbien vermutlich erneut verzögert, ist die Stimmung im Kosovo sehr angespannt. Ich habe vor drei Wochen Generalleutnant Roland Kather, der dort die internationale Schutztruppe Kfor führt, getroffen. Er sagt ganz klar: Es besteht die Gefahr von Ausschreitungen angesichts der Unsicherheiten, die es im Kosovo gibt. Für diesen Fall muss sich die Kfor im Zweifel auf Verstärkung durch die Eufor aus Bosnien verlassen können. Das Militär auf dem ganzen Balkan hat den Eindruck, dass die Politik ins Rutschen gerät und alle erwarten, dass die Europäer alles sicher und stabil halten.

Kann das auch eine von der EU unterstützte Polizei - oder nur eine Armee?

Das ist keine per se militärische Aufgabe, und die EU hat bereits ein Team in der Region, das für den Kosovo ein robustes Mandat im Polizeisektor vorbereiten soll. Voraussetzung dafür muss aber sein, dass die Kfor vorerst unbefristet bleibt - wenn vielleicht auch in reduzierter Stärke, nachdem über den Status des Kosovo entschieden ist.

Was würde ein solches Polizeimandat enthalten?

Im Grunde dasselbe wie jetzt: Sicherung von Enklaven in der Übergangszeit, eine Absicherung der Minderheiten und eine Alarmbereitschaft der Kfor, falls die Gewalt wieder eskaliert. Dieses Risiko sehen die Beobachter, dass bei dem kleinsten Funken das Ganze auch wieder in die Luft gehen kann.

Man hört, auch aus dem Kosovo gebe es Fotos von Totenschändungen durch Deutsche. Können Sie sich das vorstellen?

Nein, aber ich hätte es mir auch für Afghanistan nicht vorstellen können. Das Problematische an Afghanistan - was aber nicht nur die deutschen Einheiten betrifft - scheint mir, dass dort eine unkontrollierte "Subkultur" entstanden ist. Man muss generell bei Innerer Führung und Ausbildung für Auslandseinsätze nachjustieren. Hier gilt der alte Grundsatz: Weniger ist mehr. Wir sollten eher weniger Soldaten haben, die besser ausgebildet sind und interkulturelles Verständnis lernen. Das ist im Rahmen der Wehrpflicht nicht möglich. Die Bundeswehr muss deshalb in eine Berufsarmee umgewandelt werden.

Angelika Beer ist Verteidigungs- expertin der Grünen im Europaparlament. Die ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen (2002 bis 2004) koordiniert die Balkan-Arbeitsgruppe der Europäischen Grünen und besucht die Region regelmäßig.

Interview: Steven Geyer / Frankfurter Rundschau

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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