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Angelika Beer
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Die Geduld der Kosovaren

18.02.2008

Pristina. Die Attraktion sind die Kuchen. Der grte ist sicher 20, 30 Meter lang. Seit Stunden schon bestaunen die Bürger von Pristina das Wunderwerk. Anschneiden durfte es erst der Premierminister - als die quälend lange Sitzung im Parlament vorbei war. Niemand nascht vorher. Geduld haben die Kosovo-Albaner gelernt.

Drinnen im Parlament begrüt Premier Hashim Thaci zunächst die Familie von Adem Jashari, dem Gründer der "Befreiungsarmee" UCK. Mit ernster Stimme trägt der Ministerpräsident seine Sätze vor: Dass das Kosovo jetzt "stolz" sei, "frei", dass es "nie wieder von Belgrad regiert" werde. Dunkle Ringe unter den Augen des jungen Regierungschefs verraten, mit wie viel Anstrengung die letzten Tage verbunden waren. Stehend lauschen die Repräsentanten der neuen Nation der Erklärung der Unabhängigkeit, die sich anhrt wie von den westlichen Botschaftern geschrieben. "Liebe Bürger", sagt Thaci sogar in ungeübtem Serbisch, "wir laden euch zu einem neuen Anfang ein." Politiker aus dem Westen, unter ihnen die Berliner Grünen-Abgeordneten Angelika Beer und Marieluise Beck, hren zu. Unschn wird es, als nach der Abstimmung alle Abgeordneten namentlich aufgerufen werden, um ihre Anwesenheit festzustellen. Bei den Namen der Serben, die der Sitzung allesamt fern geblieben sind, erhebt sich jeweils ein Pfeifkonzert.

Ohne dass jemand dazu aufgerufen hätte, hatten sich schon am Samstag junge Albaner im Stadtzentrum versammelt. Sie tanzen bei minus sieben Grad und eiskaltem Wind auf dem Boulevard oder fahren hupend und mit wehenden Fahnen durch die Straen. Die meisten sind für diesen Tag aus dem Ausland ins Kosovo zurückgekehrt. "Albaner aus Kln gratulieren zur Unabhängigkeit", grüt ein Transparent. Sie fassen sich an den Händen, viele in albanische und US-amerikanische Fahnen gehüllt: Eine Stimmung wie nach einem gewonnenen Fuballspiel.


"Feiert in Würde!", hat die Regierung plakatieren lassen. Pristina wird für den Sonntag weiträumig gesperrt, parkende Autos abgeschleppt. Transparente drücken Freude über die gewonnene Freiheit aus. Albanische, europäische und US-Fahnen sind für wenige Euro zu haben. Vereinzelt tauchen Hemden mit einem Stinkefinger und der Unterschrift "Bye-bye Serbia" auf. Die Zeitung Express hat den serbischen Kosovo-Eroberer Nikola Pasic, Tito und Slobodan Milosevic auf die Titelseite gehoben und die Konterfeis der drei Jugoslawen mit einem fetten "Fuck yu!" untertitelt. Der Schreibfehler ist Absicht: "YU" war das Nationalitätenkennzeichen Jugoslawiens.

Am Vortag wurde eine Tafel angebracht: Sie erinnert an zwei junge Männer, die vor einem Jahr bei einer Demonstration von UN-Polizisten erschossen wurden. Das verrät, wie wenig die Kosovo-Albaner mit der internationalen Verwaltung zufrieden sind, die seit Juni 1999 hier das Sagen hat und die zurzeit von dem Deutschen Joachim Rücker geführt wird.

Dabei ist die Herrschaft der UN-Beamten noch das Beste, was den heute zu fast neunzig Prozent albanischen Kosovaren seit hundert Jahren widerfahren ist. Erst 1974 gab Tito, Jugoslawiens unumschränkter Herrscher, der Provinz einen starken Status, beinahe den einer Teilrepublik. Das wiederum missfiel den Serben, die nach Titos Tod den Konflikt mit den Albanern schürten. 1989 kassierte Slobodan Milosevic die Autonomie: Ein Konflikt begann, der 1998 in offene Gewalt mündete und im Jahr darauf mit dem Eingreifen der Nato zu Ende ging.

Am Sonntag tritt ein sichtlich nervser Mann vor die Kameras. Die Stunde lastet schwer auf dem jungen Politiker, der noch keine zwei Monate im Amt ist und der vor neun Jahren von der damaligen US-Auenministerin Madeleine Albright zum Verhandlungsführer der Kosovo-Albaner erkoren wurde. Thacis Blick schweift unruhig umher, immer wieder verhaspelt er sich. Er steht unter enormem Druck. Schon am Samstag hatte er die Unabhängigkeit ankündigen wollen. Dann ereilte ihn der Anruf von Tina Kaidanow, der US-Vertreterin in Pristina: "Now way" - so gehe das nicht. Zu frühe Ankündigung würde die Spannung nur noch verstärken.

Anlass zur Sorge ist am Sonntag eine Mitteilung aus Belgrad: Serbische Regierungsmitglieder wollen in das Kosovo kommen und den Serben ihrer Unterstützung versichern. Aber bis zum Nachmittag passiert nichts.

Dann hat das Warten ein Ende. Als das Ergebnis der Abstimmung bekannt wird, brandet Jubel auf. Kaum haben die Abgeordneten auch über die Flagge abgestimmt, weht sie schon über der riesigen Bühne auf dem Boulevard: Die Umrisse des Kosovo, darüber sechs weie Sterne für sechs Nationalitäten: Albaner, Serben, Roma, Türken, slawische Muslime, Goranzen. Die Kosovaren feiern. Nicht nur in Pristina. Die Hupkonzerte sind bis Frankfurt zu hren.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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