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Angelika Beer
MdEP

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Verantwortung für die Stabilisierung Afghanistans

21.08.2007

Angelika Beer, MdEP, Bündnis 90/Die Grünen

Grüne im Europaparlament und Afghanistan

Als Ko-Koordinatorin für Außenpolitik und Sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament bin ich regelmäßig mit dem Thema befasst. Die Diskussion führen wir in den Ausschüssen und Gremien, in denen ich Mitglied bin. (Auswärtiger Ausschuss, Unterausschuss Verteidigung, Afghanistan-Delegation des EP). Im Vorfeld der Entscheidung der EU, die Federführung im Polizeibereich in Afg. zu übernehmen, haben wir mit zahlreichen Fachmenschen diskutiert ¬ñ u.a. dem (grünen) Außenminister Spanta, dem (grünen) UN-Beauftragten Tom Königs sowie Abgeordneten des Afg. Parlaments und Vertretern von Hilfsorganisationen. Die EU Polizeimission läuft seit wenigen Wochen ¬ñ Ziel ist es, 160 Polizisten aus EU Ländern in Afghanistan bereit zu halten, um die einheimische Polizei zu schulen. Außerdem fließen seit Kurzem Gelder aus dem Stabilitätsinstrument der EU (ich bin Berichterstatterin) im Bereich Anti-Terror- und Anti-Drogen Kampf in Afg. Hierzu gehört u.a. die Entwicklung neuer Konzepte zur Bekämpfung des steigenden Drogenanbaus. Die Parlamentariergruppe zwischen EP und Afg. wurde nach langen Diskussionen erst in diesem Jahr eingerichtet ¬ñ als politisches Zeichen, dass wir das gewählte Parlament aktiv unterstützen wollen. Die Diskussionen sind umfassend, da z.B. die niederländischen Kollegen ganz andere Debatten über die Sicherheit und den Wiederaufbau führen als wir. Die niederländischen Soldaten sind überwiegend im Süden stationiert ¬ñ und machen dort eine von allen Seiten anerkannte Wiederaufbauarbeit ¬ñ ähnlich wie die Deutschen im Norden.


Rückblick

Nach den Terroranschlägen am 11.9. 2001 erklärte die NATO den Bündnisfall nach Art. V (eine Entscheidung des NATO-Rates jenseits irgendeiner politischen Einbeziehung der nationalen Parlamente). Dieser gilt bis heute.
Die USA beriefen sich auf das staatliche Selbstverteidigungsrecht gem. Art 51 der UN-Charta. Dies ist Rechtsgrundlage für OEF ¬ñ Operation Enduring Freedom und wurde später durch die UN Sicherheitsrats-Resolution 1368 (2001) völkerrechtlich bestätigt.
Die UNO selbst mandatierte den ISAF Einsatz nach Artikel VII – ein robustes Mandat der UN zum Wiederaufbau und Stabilisierung des Landes.
Es ist unser Grüner Erfolg in der damaligen Bundesregierung, dass die Deutsche Beteiligung davon abhängig gemacht wurde, dass die Mandate zum Anti-Terrorkampf und das zum Wiederaufbau getrennt wurden. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder erzwang die mehrheitliche Zustimmung der Grünen Bundestagsfraktion im Jahr 2001 durch die Verknüpfung der Abstimmung mit der Kanzlerfrage. Wie viele andere Abgeordnete habe ich eine persönliche Erklärung zur Abstimmung abgegeben, wo ich 1. auf meine Bedenken gegen die Deutsche Beteiligung hingewiesen habe und 2. das vom Kanzler geknüpfte Junktim zwischen Zustimmung zum Afghanistan Einsatz und Aufkündigung der rot-grünen Koalition verurteilt habe. Die vor sechs Jahren von mir zu Protokoll gegebenen Kritikpunkte stellen sich heute insgesamt als berechtigt dar. (Anlage)

Worum geht es jetzt?

Die Bundesregierung will im Herbst alle drei Mandate verlängern lassen (ISAF, OEF und Tornadoeinsatz). Heute zeichnet sich ab, dass die Bundesregierung nicht bereit ist, Druck auf das Bündnis - und insbesondere auf die USA - zu einem Strategiewechsel auszuüben. Vielmehr hofft die große Koalition in Deutschland durch ein ¬Ñweiter so¬ì die territoriale Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Truppenstellern aufrecht zu erhalten, um sich auch zukünftig auf den Norden Afghanistans zu konzentrieren.

Grüne Position

Wir wollen den Menschen in Afghanistan helfen. Das heißt unser Ziel ist es, dass Afghanisches Militär und Polizei so schnell wie möglich ohne internationale Militärpräsenz aus eigener Kraft für Sicherheit und Ordnung sorgen können. Wir wissen, dass dies ein langwieriger, schwieriger Prozess ist und ein sofortiger Abzug der internationalen Truppen das Land in einen neuen Krieg treiben würde. Wir sind bereit, wenn notwendig, den internationalen Terrorismus auch mit militärischen Mitteln zu bekämpfen. Aber wir wissen, dass man ihn nicht militärisch besiegen kann. Eine Fortführung des OEF Einsatzes ¬ñ ob mit oder ohne deutsche Beteiligung ¬ñ unter der Federführung der Amerikaner birgt aber mehr Risiken als Chancen. Zu hoch sind die zivilen Opfer bei Militäroperationen. Die Taliban und Al Quaida sind neu organisiert, die Menschen können nicht mehr unterscheiden zwischen Wiederaufbau und Anti-Terror-Kampf, die zunehmende Armut und der Hass treiben immer mehr Menschen in die Fänge der Terroristen.

Den Neuanfang herausfordern

1. Die Kritik von Hilfsorganisationen wie auch von Tom Königs, dass die Konzentrierung insbesondere der Amerikaner auf den militärischen Anti-Terrorkampf insbesondere im Süden dazu geführt hat, dass die notwendige Wiederaufbauarbeit in jenen Regionen während der ersten Jahre nicht stattgefunden hat, ist ernst zu nehmen. Der OEF Einsatz hat quasi zu einem Vakuum geführt, in dem der militärische Anti-Terror-Kampf notwendige zivile Hilfe verhindert hat und zudem neue Rückzugsgebiete der Taliban entstanden sind.. Nur wenn im ganzen Land der Wiederaufbau (insbesondere im Bildungsbereich) massiv ausgebaut wird, werden wir dem Frieden näher kommen.

2. Der NATO-Bündnisfall muss aufgehoben werden. 6 Jahre nach den Anschlägen vom 11.9.2001 gibt es dafür keine Rechtfertigung mehr. Nicht zuletzt haben die Untersuchungsausschüsse im EP, ER und nationalen Mitgliedsländern deutlich gemacht, dass unter dem Deckmantel der NATO massive Grundrechts- und Menschenrechtsverletzungen stattgefunden haben. Hinzu kommt, dass die NATO (im HQ in Brüssel) inzwischen intern jeden Militäreinsatz als Bündnisfall definiert ¬ñ und damit demokratische Kontrollrechte außer Kraft setzt.

3. Das OEF Mandat muss beendet werden. Es reicht nicht aus, wenn Bundesregierung und Deutscher Bundestag im Herbst beschließen, sich nicht mehr daran zu beteiligen. Es geht um die notwendige Bereitschaft, diesen Konflikt mit der Bush-Administration zu führen, Bündnispartner für die Beendigung von OEF zu finden ¬ñ um so ein neues Sicherheitskonzept für Afghanistan unter ISAF zu entwickeln und umzusetzen.

4. Vom OEF Mandat ist bislang ebenfalls der Einsatz am Horn von Afrika gedeckt, an dem sich Deutschland mit Marinekräften beteiligt. Bei der Fortsetzung dieses Einsatzes ist nach Beendigung des OEF Mandats ein neuer UN Beschluss herbeizuführen.

5. Mit der Beendigung von OEF gibt es dann nur noch ein Mandat für Afghanistan: ISAF. Eine dann einheitliche Kommandostruktur kann es ermöglichen, dass die tragischen Zivilopfer zukünftig vermieden werden können und der Wiederaufbau militärisch abgesichert werden kann.

6. Diese Chance jetzt zu ergreifen bedeutet dann aber in der Konsequenz auch, dass eine vorübergehende personelle Aufstockung von ISAF notwendig ist und zukünftig alle SoldatInnen je nach Notwendigkeit im ganzen Land ohne Beschränkungen zum Einsatz kommen. Dies ist inzwischen im Kosovo bewährte Praxis.

7. Vor diesem Hintergrund sollte die Frage des weiteren Einsatzes von Tornados zur Luftaufklärung kein Tabu sein, sondern entsprechend der Sicherheitsanforderungen militärisch geprüft und bewertet werden.

8. Die internationalen Bemühungen zum Aufbau der afghanischen Armee (ANA) und der Polizei sind zu verstärken. Der Beschluss der EU ein Polizeikontingent von 160 Beamten bereitzustellen ist ein erster positiver Schritt aber ungenügend.

9. Die internationale Staatengemeinschaft (IG) muss ein alternatives und wirksames Konzept zur Bekämpfung des Drogenanbaus erarbeiten und umsetzen. Die Praxis der Amerikaner, die Drogenfelder einfach abzubrennen hat ein Ansteigen des Drogenanbaus nicht verhindern können. Die Bauern brauchen alternative Einkommensquellen. Landwirtschaftskonzepte sind ebenso zu entwickeln wie die Teillegalisierung des Drogenanbaus für medizinische Zwecke, um den weltweiten Bedarf kontrolliert zu decken.

10. Die Rolle des afghanischen Präsidenten Kharsai ist kritisch zu hinterfragen. Es gibt massive Hinweise darauf, dass Korruption und Cliquenwirtschaft von ihm nicht nur toleriert sondern gefördert werden. Fachleute, die sich in dem Land gut auskennen, weisen darauf hin, dass genügend Gelder der IG in Kabul auf der Bank liegen. Das Problem sei aber, dass die Vergabe nicht international kontrolliert wird, sondern Kharsai entscheidet, welche Projekte gefördert werden und welche nicht. Offensichtlich ist nicht die Bedürftigkeit das entscheidende Kriterium sondern Stammeszugehörigkeit und Korruption.

11. Die einseitige Unterstützung des pakistanischen Präsidenten Musharaf durch die Amerikaner muss ebenso in Frage gestellt werden. Die afghanisch-pakistanische. Grenze ist nach wie vor Rückzugs- und Rekrutierungsraum der Taliban. Aktuelle Hinweise darauf, dass Bush Pakistans Einverständnis dafür erhofft, dass zukünftig ISAF militärisch Terroristen verfolgt bis hin auf pakistanisches Gebiet wäre eine massive Ausdehnung des ISAF Mandates ¬ñ und wird von uns abgelehnt.

12. Eine weitere ¬ñ von der Bush-Administration betriebene ¬ñ Eskalation des Nuklearkonflikts mit Iran ist im internationalen aber auch im afghanischen Interesse zu verhindern. Iran hat bislang eine durchaus positive Rolle im Anti-Terror-Kampf ¬ñ auch in Afghanistan ¬ñ gespielt. Dies könnte sich jederzeit ändern.

13. Der politische Streit, ob man mit ¬Ñmoderaten¬ì Taliban verhandeln sollte oder nicht, geht an der Realität vorbei. Zur Verhinderung einer weiteren Radikalisierung der afghanischen. Gesellschaft ist es unerlässlich, auch mit Teilen der Taliban zu verhandeln. Auf regionaler Ebene ist dies zudem längst Praxis. Der Dialog mit ¬Ñmoderaten Taliban¬ì muss dringend organisiert werden.

14. Alle nichtmilitärischen Aktivitäten sollten zentral koordiniert werden, um den Erfolg nicht versanden zu lassen. Die PRT Teams sind landesweit zu stärken und der Einsatz in enger Abstimmung mit regionalen Partnern vorzunehmen. Sonst kommt es weiter, wie aktuell bei QIP (Quick Impact Projects) dazu, dass jenseits des Bedarfs Projekte aus dem Boden gestampft werden, und danach keine Betreuung mehr erfolgt. Die Koordination hierfür sollte durch den UN Beauftragten erfolgen.

15. Zudem wäre es sinnvoll, wenn jedes Land, das sich in Afghanistan engagiert, einen Afghanistan Beauftragten ernennt, der die Aktivitäten z.B. von Auswärtigem Amt, Verteidigungsministerium, BMZ und kooperationsbereiten NROs mit dem Ziel der Nachhaltigkeit zusammenführt.

16. Die zivilmilitärische Zusammenarbeit in Afghanistan muss die Rechte und Interessen der NROs respektieren und gleichzeitig ein besseres Vertrauensverhältnis anstreben. Dies ist z.B. durch eine konstante Information zur Sicherheitslage zu erreichen.


FAZIT:

Es geht nicht allein um die Deutsche Beteiligung sondern die Verpflichtung der Internationalen Staatengemeinschaft, das bisherige Vorgehen in allen Bereichen zu analysieren und vor allem zu korrigieren. Die Deutsche Bundesregierung könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Wir als Grüne können mit einem auf der BDK abzustimmenden klaren Forderungsprofil Druck zur Beendigung des OEF Einsatzes auf die Bundesregierung ausüben. Wir Grünen stehen vor der Entscheidung, ob wir den Wechsel nur fordern, und ISAF auch weiterhin zustimmen obwohl die anderen Mandate auch gegen unsere Stimmen fortgeführt werden, oder gut begründet eine Fortführung der unveränderten bisherigen Mandate ablehnen. Dies würde nicht bedeuten, Verantwortung für eine friedliche Zukunft Afghanistans abzulehnen, sondern einer unverantwortlichen Politik des ¬Ñweiter so in die falsche Richtung¬ì eine Absage zu erteilen.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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