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Angelika Beer
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Europas Grenzen und Glaubwürdigkeit

4. 8. 2004

Die Flüchtlingsfrage ist wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Ständig erreichen uns Bilder der Vertriebenen in Sudan und von Flüchtlingen, die sich mit überfüllten Booten über das Mittelmeer auf den Weg nach Europa machen. Die Öffentlichkeit erlebt heute mit, wovor sie so gerne ihre Augen verschlossen hat: Bis zu 10 000 Menschen riskieren jährlich ihr Leben auf der Flucht über das Mittelmeer, und mehr als 5000 Flüchtlinge sind in den vergangenen zehn Jahren dabei ums Leben gekommen.

Die Europäische Union steht hier in der Verantwortung. Die jetzt entbrannte Debatte, die alle Facetten von einer weiteren Abschottungspolitik bis hin zu ernst gemeinter humanitärer Hilfe umfasst, zeigt den Handlungsbedarf. Unabhängig davon, ob man das Verhalten der "Cap-Anamur"-Besatzung für glücklich hält, hat uns das Vorgehen der italienischen Behörden gegenüber der Besatzung und den Flüchtlingen die Unzulänglichkeiten der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik gezeigt.

Die bisherige Regelung gefährdet Menschenleben

Welcher Kapitän wird in Zukunft noch Flüchtlinge aus Seenot retten, wenn ihm dafür Einlaufgenehmigungen verwehrt werden und ihm sogar mit Gefängnis gedroht wird? Hilft er nicht, macht er sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Rettet er Leben, dann wird er der Schleuserkriminalität bezichtigt.

Wir brauchen in den Ausländergesetzen Klauseln, die gewährleisten, dass humanitäre Hilfe für Flüchtlinge nicht länger strafrechtlich als Beihilfe zur unerlaubten Einreise verfolgt wird. Die bisherige Regelung gefährdet Menschenleben!

Europa steht für Menschenrechte und Humanität. Die EU darf nicht zu einer Festung werden, an deren Grenzen jährlich Hunderte von Flüchtlingen ihr Leben lassen. Damit in Zukunft ein Zuständigkeitsgeschachere wie im Fall der "Cap Anamur" verhindert wird, dürfen die betroffenen EU-Mitgliedstaaten nicht allein gelassen werden. Eine Harmonisierung der Flüchtlingspolitik muss einen solidarischen Ausgleich innerhalb der EU enthalten. Hierzu wollen wir den Europäischen Flüchtlingsfonds umorganisieren und besser ausstatten.

Regionale Hilfe darf kein Alibi sein

Zu begrüßen ist der Vorschlag der EU-Kommission, Anrainerstaaten von Krisenregionen zu unterstützen und entsprechend den internationalen Schutzstandards Flüchtlingen Asyl zu gewähren. Denn klar ist, dass sich das größte Flüchtlingselend, wie derzeit etwa in Sudan mit einer Million Flüchtlingen, weit entfernt vom Mittelmeer abspielt und von den Anrainerstaaten nicht allein zu bewältigen ist.

Regionale Hilfe darf aber nicht als Alibi für eine weitere Abschottungspolitik der EU missbraucht werden. Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung sieht vor, 500 "Kontingentflüchtlinge" im Jahr aufzunehmen, die in Erstasylländern nicht bleiben können. Dieser geringe Beitrag Deutschlands ist nach wie vor nicht verwirklicht. Wer in der Bundesregierung "praktische Humanität" im Munde führt, sollte endlich Taten folgen lassen.

Fatales Signal durch Schilys Vorschlag

Die Forderung von Bundesinnenminister Schily nach einem europäischen Asylbewerberlager in Nordafrika ist zur Lösung des Flüchtlingsproblems ungeeignet und wäre ein falsches Signal. Wenn selbst einer seiner konservativen Vorgänger, Wolfgang Schäuble, "Internierungslager am Rande der Sahara" befürchtet, wird deutlich, welches fatale Signal von Schilys Vorschlag ausgeht: Die Festung Europa wird in Afrika ausgebaut. Mit solchen Abschottungsgesten würde die EU ihre Glaubwürdigkeit bei der Wahrung fundamentaler Menschenrechte verspielen.

Der Vorschlag scheitert allein an der Realität. Es ist naiv zu glauben, dass Flüchtlinge durch ein solches Lager von dem Weg über das Mittelmeer abgehalten würden. Wer bereit ist, sein Leben zu riskieren, um es zu retten, wird sich nicht darum scheren, ob er eine Chance hat, legal einzuwandern oder nicht. Wer sich nicht sicher sein kann, ob er Zugang nach Europa gewährt bekommt, wird den vermeintlich aussichtsreichen Weg übers Meer suchen, anstatt sich in die Schlange eines Asylbewerberlagers der EU in Afrika zu stellen.

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten diesen Vorschlag aus guten Gründen bereits 2003 aufgegeben. Wer Flüchtlingsströme verhindern will, muss bei den Ursachen ansetzen. Bundespräsident Köhler hat zu Recht gesagt, der Lackmustest der europäischen Humanität sei Afrika. Diejenigen, die so tun, als wären sie aufnahmebereit gewesen, wenn die "Cap-Anamur"-Flüchtlinge aus Sudan gewesen wären, täuschen darüber hinweg, dass sie das Schicksal der Flüchtlinge in Sudan bisher kaum interessiert hat.

Europa muss über seine Grenzen hinweg denken

Dem Lackmustest für die europäische Humanität müssen wir uns nicht nur in Sudan stellen, sondern in ganz Afrika. Die Nord-Süd-Politik muss die Rechte auf ein menschenwürdiges Leben, auf Nahrung und Zugang zu sauberem Trinkwasser, auf Bildung und die Rechte der Frauen stärken. Der von der Bundesregierung verabschiedete entwicklungspolitische Aktionsplan für Menschenrechte hat verdeutlicht, dass Nord-Süd-Politik als Querschnittsaufgabe verstanden werden muss, die Fairness im Welthandel ebenso umfasst wie einen wirksamen Klimaschutz.

Schätzungsweise 15 Millionen Flüchtlinge in Afrika sind Umweltflüchtlinge. Sie sind auf der Suche nach dem wichtigsten Gut: Wasser. Nur wenn wir die Ursachen bekämpfen und in den Krisenregionen wirksam helfen, wird es uns gelingen, die Flüchtlingsbewegungen zu stoppen. Europa muss über seine Grenzen hinweg denken, sonst verliert es seine Glaubwürdigkeit.

Ein Gastbeitrag zur europäischen Flüchtlingspolitik von Angelika Beer, Mitglied von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordnete des Europäischen Parlaments, erschienen am 4. August 2004 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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