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Angelika Beer
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Beer: Eine schwarze Stunde im EU-Parlament

16.01.2007

Grünen-Politikerin warnt vor rechtsextremer Fraktion

Moderation: Birgit Kolkmann

Die Europa-Parlamentarierin Angelika Beer hat zum Widerstand gegen die neu formierte rechtsextreme Fraktion im europˆ§ischen Parlament aufgefordert. Die Aufgabe der demokratischen Parteien sei es nun, die Wˆ§hler aufzuklˆ§ren, sagte die Grünen-Politikerin.

Birgit Kolkmann: Joseph Borrell, der bislang amtierende EU-Parlamentsprˆ§sident, konnte nichts dagegen tun. Gestern haben 20 rechtsextreme Europaabgeordnete aus sieben Lˆ§ndern offiziell die Bildung einer neuen Fraktion beantragt und das musste dann auch genehmigt werden. Die neue Gruppe heiˆüt "Identitˆ§t, Tradition und Souverˆ§nitˆ§t" und ihr gehˆren zum Beispiel Frankreichs Front National-Chef Le Pen und seine Tochter an, ebenso wie die Enkelin des ehemaligen italienischen Diktators Mussolini. Bislang stellten die Rechtsextremen aus Frankreich, ˆñsterreich, Belgien und Groˆübritannien nicht genug Abgeordnete, um den Fraktionsstatus beantragen zu kˆnnen. Das hat sich am 1. Januar mit dem Beitritt Bulgariens und Rumˆ§niens geˆ§ndert. Beide Lˆ§nder entsenden sechs Abgeordnete vom ˆ§uˆüersten rechten Rand ins Europaparlament. Tief besorgt ˆ§uˆüerte sich gestern das israelische Auˆüenministerium und auch im Europaparlament selbst formiert sich der Widerstand. Angelika Beer von der Fraktion der Grünen begrüˆüe ich jetzt zum Interview in Deutschlandradio Kultur. Schˆnen guten Morgen Frau Beer!

Angelika Beer: Schˆnen guten Morgen Frau Kolkmann!

Kolkmann: Wie soll denn dieser Widerstand aussehen?

Beer: Gestern ist deutlich geworden, weil es war wirklich eine schwarze Stunde des Europˆ§ischen Parlamentes zu sehen, dass Mitglieder, die bisher als politische Heckenschützen agiert haben, aber sich nicht formieren konnten, jetzt als rechtsextreme Gruppierung hier versuchen werden, ihren Ultranationalismus, die Leugnung des Holocaust, den Faschismus vielleicht nicht so deutlich auf die Agenda zu setzen. Sie werden versuchen, die Formalitˆ§ten einzuhalten, aber es ist eine neue Qualitˆ§t. Der europˆ§ische Rechtsextremismus ist im Herzen der europˆ§ischen Demokratie angekommen und das heiˆüt, dass es einen breiten Konsens innerhalb der anderen Fraktionen im Europaparlament gibt, dass wir versuchen werden, diese Maske, die sie sich geben, nˆ§mlich sozusagen im Nadelstreifenanzug diese rechtsextremen Tendenzen zu verstecken, runterzureiˆüen und als nˆ§chstes wird sich das schon in diesen Tagen zeigen. Wir werden heute den neuen Prˆ§sidenten, Herrn Pˆttering, wahrscheinlich wˆ§hlen. Wir werden neue Vizeprˆ§sidenten und auch Ausschussvorsitzende wˆ§hlen. Dort werden die Rechtsextremen zum ersten Mal versuchen, Ausschussplˆ§tze zu bekommen, aber auch Vizeplˆ§tze im Ausschuss zu erhalten, und es gibt dort einen breiten Konsens, dass wir sie nicht wˆ§hlen werden. Das ist natürlich noch keine politische Antwort, aber die politische Antwort muss erst mal sein: es gibt keine Zusammenarbeit. Und die zweite: das ist eine nationale, aber auch europˆ§ische Herausforderung zu verhindern, dass diese Rechtsextremisten auf europˆ§ischer Ebene sich weiter vernetzen.

Kolkmann: Wie weit ist denn die Isolation im Parlament eigentlich mˆglich, denn mit dem Fraktionsstatus sind ja auch neue Rechte verbunden, auch neue finanzielle Mˆglichkeiten, neue Mˆglichkeiten, Resolutionen und Antrˆ§ge einzubringen. Wie gefˆ§hrlich ist das?

Beer: Die Gefˆ§hrlichkeit haben wir bereits kennen gelernt Ende des Jahres. Wir wollten als Auˆüenpolitiker eine Delegation schicken in den Nahen Osten, wo die Rechtsextremen die Tochter von Le Pen benannt hatten, was dazu führte, dass Israel sich weigerte, diese Delegation mit dieser Frau zu empfangen, aus guten Gründen, denn das sind Menschen, die die Judenverfolgung, die den Holocaust leugnen. Es ist klar, dass es durchaus zu diplomatischen Schwierigkeiten führen kann, und es ist auch eine Frage der Menschenrechte, denn diese Gruppierung erkennt Minderheitenrechte nicht an, ist gegen Sinti und Roma, ist eigentlich - das ist die politische Plattform - gegen alles, ist gegen Europa, ist gegen Demokratie. Insofern haben wir bereits gemerkt, dass diplomatische Beziehungen gestˆrt werden kˆnnen. Das wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, das wird zunehmen, aber ich sage auch ganz deutlich: die Herausforderung - und da sehe ich gerade auch eine Chance der deutschen Prˆ§sidentschaft, die ja jetzt begonnen hat. Es wird nicht ausreichen, nur bestimmte Symbole wie das Hakenkreuz europaweit zu ˆ§chten. Wir müssen national und europˆ§isch die Mittel im Kampf gegen Rechtsextremismus und das heiˆüt vor allen Dingen Aufklˆ§rung verstˆ§rken. Meine groˆüe Sorge ist, dass wir hier erleben, was wir in Deutschland in den letzten Jahren erlebt haben, eine neue Vernetzung. Das heiˆüt, bei uns haben sich NPD, DVU und gewaltbereite Kameradschaften zusammengeschlossen. Wenn das hier auf europˆ§ischer Ebene passiert, dann ist ganz klar, wodurch auch der nˆ§chste Europawahlkampf geprˆ§gt sein wird in den Nationalstaaten, nˆ§mlich Courage, Zivilcourage zu zeigen und auch deutlich zu machen, dass hier null Toleranz für Rechtsextremismus besteht.

Kolkmann: Nun ist aber das Europaparlament praktisch eine Plattform geworden auch für rassistische oder frauenfeindliche Ausfˆ§lle, wie sie bereits zu besichtigen waren. Das ist natürlich kaum mˆglich zu unterbinden, denn Redeverbot kˆnnen Sie den Abgeordneten nicht erteilen.

Beer: Eine Demokratie - und das zeichnet ja gerade Europa aus - hat nicht nur das Instrument von juristischen Mitteln oder Verboten oder Formalitˆ§ten. Wir sind politisch gefordert und das betrifft insbesondere natürlich auch die konservativen Parteien, hier in einem demokratischen Konsens uns sehr genau mit der Arbeit dieser extremen Gruppierung auseinanderzusetzen und dort, wo Grenzen überschritten werden, nˆ§mlich demokratische Grenzen, auch ganz klar zu handeln. Ich bin gespannt auf das Verfahren, das gegen den Prˆ§sidenten dieser so genannten "Identitˆ§t, Tradition und Souverˆ§nitˆ§t"-Gruppierung in Frankreich lˆ§uft wegen der Leugnung des Holocaustes. Das ist sicherlich eine Mˆglichkeit, noch mal die Substanz dieser Gruppierung zu hinterfragen, wenn er verurteilt wird. Das zweite ist, dass die neu hinzugekommenen Abgeordneten aus Rumˆ§nien und Bulgarien nicht gewˆ§hlt sind, sondern nur bestimmt worden sind für einen Zeitraum bis zum Mai diesen Jahres, wo in beiden Lˆ§ndern die Europaabgeordneten nachgewˆ§hlt werden. Auch dort heiˆüt es für alle demokratischen Parteien, die Wˆ§hlerinnen und Wˆ§hler aufzurufen, diesen rechtsextremen Vertretern ihre Stimme zu verweigern.

Kolkmann: Zeigt sich, dass der EU-Beitritt dieser Lˆ§nder durchaus auch Probleme mit sich bringt?

Beer: Das ist nicht nur eine Frage von Bulgarien und Rumˆ§nien. Es sind ja auch ˆñsterreicher vertreten, es sind Italiener. Sie haben am Anfang auch Frankreich und die anderen erwˆ§hnt. Ich glaube, dass dies eine europˆ§ische Herausforderung ist, und ich fürchte, dass jetzt eine Stimmung aufgebaut wird, wo Erweiterungsgegner - und dazu gehˆren ja auch diese Rechtsextremisten - gestˆ§rkt werden und sagen, wir wollen keine weitere europˆ§ische Erweiterung, weil dann kommen extreme politische Strˆmungen ins Parlament. Das kann nicht das Argument sein. Die Beitrittsperspektiven für die anderen Lˆ§nder bleiben. Ich werde gerade nˆ§chste Woche in Mazedonien sein, die natürlich auch hoffen, dass sie europˆ§isches Mitglied werden über kurz oder lang wie der gesamte Balkan, und dort werden wir klar machen, genauso wie in den anderen Regionen, dass Europa und die Kopenhagener Kriterien gelten. Das heiˆüt für Demokratie werben und auch jetzt schon in den Mitgliedsstaaten, die beitreten wollen, Demokratie unterstützen und extreme Strˆmungen versuchen zu bekˆ§mpfen. Das ist aber auch Anliegen der Lˆ§nder selber und deswegen habe ich keine Angst vor einer nˆ§chsten Erweiterung. Es ist eine demokratische Herausforderung, der wir uns durch Aufklˆ§rung und durch Zivilcourage stellen werden. Ich tue das in Schleswig-Holstein. Ich wohne in einer Stadt, wo der Club "Heil Hitler" ist, der Club 88, wo die extreme Rechte ganz Norddeutschlands sich vernetzt hat. Dort heiˆüt es immer wieder, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, aber auch dafür zu sorgen, dass sie eben ihre Politik nicht vertiefen kˆnnen, sondern mit einer demokratischen Plattform sich gegen braune Gruppierungen zu stellen.

Kolkmann: Vielen Dank. - das war Angelika Beer, Mitglied der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Gestern hat sich dort eine rechtsextreme Fraktion konstituiert.

Deutschlandradio Kultur

Foto: Michael Schaarschmidt

 

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Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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