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Angelika Beer
MdEP

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Rechtsradikalismus und Europa

26.10.2007

Interview mit Angelika Beer, MdEP

Nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens im Januar 2007 haben die Rechtsextremen im Europäischen Parlament erstmals Fraktionsstärke erreicht. Wie ist die Fraktion ITS, d.h. Unabhängigkeit, Tradition und Souveränität, zu bewerten?

Dass Rechtsextremisten im Herzen der Europäischen Demokratie als Fraktion auftreten, ist eine Zäsur. Es gab am Anfang einen politischen Konsens zwischen allen anderen Parteien, dass wir diese rechtsextreme Fraktion weder akzeptieren noch punktuell unterstützen. Es konnte verhindert werden, dass die ITS Ausschussvorsitze erringt und ähnliches. Die ITS ist inzwischen allerdings nicht mehr unter ständiger Beobachtung, was ich sehr bedauere, denn ich halte sie strukturell für eine Gefahr für die Demokratie Europas.

Wie muss Europa deiner Meinung nach auf den europäischen Rechtsextremismus reagieren?

Wir haben das gleiche Phänomen im Europaparlament wie in nationalen Parlamenten, in die Rechtsextreme eingezogen sind. Man versucht sich weniger mit ihnen auseinanderzusetzen, als sie zu ignorieren. Das ist ein Fehler auch auf europäischer Ebene. Denn inzwischen sind zwei Phänomene festzustellen: Erstens, die ITS bringt Änderungsanträge ein, meistens gegen Ausländer, die von weitaus mehr Abgeordneten unterstützt werden als die ITS selber hat, bis zur dreifachen Stimmenzahl. Zweitens wird auf Initiative der Rechtsextremen im Europaparlament versucht, eine deutsche Liste der extremen Rechten in Deutschland voranzutreiben, mit dem Ziel, dass auch deutsche Rechtsextreme zur Wahl 2009 antreten und dann die ITS deutlich stärken.

Wie kann man darauf reagieren?

Wir brauchen eine offensive Auseinandersetzung, wir müssen sie politisch angreifen. Es hilft nicht, nur einfach wegzugucken. Sie haben eine neue Argumentation aufgebaut. Sie sind sehr geschickt, sie nutzen Stimmungen aus wie z.B. bei uns in Deutschland gegen Hartz IV. Sie versuchen soziale Themen zu besetzen. Da kann man dann nicht mehr einfach sagen, wir ignorieren sie, sondern, man muss ihre Ideologie auseinandernehmen. Die ist menschenverachtend.

Der Fall der EU-Förderung für eine Medienhochschule des antisemitischen polnischen Paters Tadeusz Rydzyk, der das umstrittene Radio Marya leitet, hat in Brüssel für einigen Wirbel gesorgt. Hat die EU-Kommission hier aus deiner Sicht richtig reagiert?

Die EU-Kommission hat anfangs den gleichen Fehler gemacht, wie viele Parteien es z.B. auch in Deutschland machen, nämlich zu versuchen, das Problem nicht beim Namen zu nennen. Die Kommission hat versucht, durch formale Kriterien aus einer fatalen Finanzierung der Hochschule dieses Paters, der gegen Homosexuelle hetzt, der wirklich antisemitische Sprüche verbreitet, ohne Schlagzeilen herauszukommen. Ich halte das für falsch. Wir müssen Rechtsextreme dort schlagen, wo sie sind. Ich meine das übrigens vollkommen gewaltfrei. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen und dann auch klar distanzieren. Diesen Weg ist die EU-Kommission nicht gegangen.

Oft entscheiden ja die Mitgliedstaaten über die Verwendung von EU-Geldern. Hat die EU-Kommission denn jetzt die Möglichkeit, diese Förderung zu verhindern?

Die Kommission hat das Problem, das die EU generell hat, nämlich dass wir sehr viele Sachen finanzieren und dass die Kommission nicht alles direkt kontrollieren kann. Aber einfach zu sagen, wir gehen davon aus, dass die Gelder gut verwandt werden, das war die eigentliche politische Offenbarung. Es muss ganz entschieden verhindert werden, dass wir rechtsextremes Gedankengut mit EU-Geldern unterstützen. Das hat man ¬ñ nach meiner parlamentarischen Anfrage - nun wohl auch in der Kommission verstanden. Ich habe außerdem mit dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im EP gesprochen, um zu versuchen, die im Moment existierende Förderung zu stoppen. Das ist noch im Diskussionsprozess. Klar ist aber, dass Polen ab 2008 ein neues Konzept vorlegen muss. Und wenn diese Hochschule weiter gefördert wird, wird die Kommission nicht mehr zustimmen.

Deutsche Rechtsextremisten haben es bisher nicht ins Europäische Parlament geschafft. Woran liegt das und wie groß ist die Gefahr, dass sich das 2009 ändert?

Wir haben bei uns Vereinbarungen zwischen der NPD und der DVU einerseits und den gewaltbereiten Rechtsextremisten, den sogenannten freien Kameradschaften, andererseits die sich zum ersten Mal gegenseitig unterstützen und dafür sorgen, dass sie nicht gegeneinander bei Wahlen konkurrieren. Der ¬ÑDeutschland-Pakt¬ì und die ¬ÑVolksfront von Rechts¬ì, wie die Nazis das nennen, hat zum Einzug in einige Landtage beigetragen. Wir wissen noch nicht, wie sie sich zur Bundestagswahl aufstellen werden. Es gibt aber erste Bestrebungen der NPD, auf europäischer Ebene ein Bündnis zu schließen mit der rechtsextremen EP-Fraktion. Ende September waren die Vorsitzenden von NPD, DVU und Republikanern in Straßburg um mit der ITS über eine entsprechende rechtsextreme Liste zu reden, mit der sie bei der Europawahl 2009 antreten und den Sprung ins Europäische Parlament schaffen wollen.

Warum hast du eine Broschüre Rechtsextremisten in Norddeutschland herausgegeben?

Es ist in der öffentlichen Diskussion der Eindruck entstanden, dass Rechtsextremismus in Deutschland ein Problem der neuen Bundesländer sei. Wenn man sich dann mit den Strukturen auseinandersetzt, kann man nachweisen ¬ñ auch aufgrund der Verfassungsschutzberichte ¬ñ dass z.B. Schleswig-Holstein im Bereich der extremen Gewalttaten vor Mecklenburg-Vorpommern liegt. Und das, obwohl Mecklenburg-Vorpommern die Keimzelle der neuen Strategie der Rechten ist. Das heißt, wir haben versucht, zunächst einmal für den Bereich Norddeutschland, wo sich selbst die Führungsebene der NPD aus verurteilten Rechtsextremisten zusammensetzt, deutlich zu machen, wer sie sind und was sie tun. Sie haben Namen. Sie haben Gesichter. Sie treten nicht mehr im Springerstiefel auf, sondern im Nadelstreifenanzug. Und sie versuchen Menschen über Sozialarbeit zu agitieren und in den rechtsextremen Raum rüberzuziehen. Wir haben mit unserer Broschüre und unseren Veranstaltungen in ein Wespennest gestochen: Es werden nach Veranstaltungen Scheiben von grünen Büros eingeschmissen. Es gibt Drohungen gegen Mitglieder, die an grünen Veranstaltungen teilnehmen. Das bestätigt uns natürlich. Wir können nicht länger weggucken. Wir müssen die Rechtsextremen offensiv angreifen, indem wir ihre Informationen, ihre Ideologie offenlegen und uns dementsprechend gegen sie positionieren.

Was ist für dich geografisch Norddeutschland? Welche Bundesländer sind das für dich?

Wir haben Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen mit drin. Das nächste Projekt wird durch ganz Deutschland gehen und das übernächste dann auf die europäische Ebene. Wir versuchen, den Rechtsextremisten ihre Anonymität zu nehmen, in der sie sich so wohl fühlen und in der sie agieren.

Interview: Christoph Nick, gruene-europa.de

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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