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"Wir sind die St§rkeren"
12.09.2007
Europa-Grüne Angelika Beer über den Kampf gegen die Nazis
Seit 2004 sitzt die Grünen-Politikerin Angelika Beer als Expertin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Europa-Parlament. Zu den Veranstaltungen anl§sslich des Gedenkens an die Pogrome im Rostocker Asylbewerberheim vor 15 Jahren besuchte sie auch die Hundertwasser-Schule in Lichtenhagen. Der HANSE-ANZEIGER sprach mit ihr.
Angelika Beer, angesichts des Naziladens in der Doberaner Straüe, der ausl§nderfeindlichen Ausschreitungen in Mügeln und Bützow und der Rostocker Pogrome vor 15 Jahren ¬ñ fordern Sie da nicht auch mehr Zivilcourage von den Bürgern?
Ohne Zivilcourage l§sst sich der Kampf gegen Rechts nicht gewinnen. Zivilcourage kann man aber nicht abrufen wie die j§hrliche Steuererkl§rung. Wer Mut und bürgerschaftliches Engagement gegen Rechts fordert, muss es auch langfristig frdern. Zuerst stehen da die Politiker in der Pflicht, das Rechtsextremismus-Problem anzuerkennen, Gegenstrategien zu entwickeln und aufzukl§ren. Ohne diese Vorarbeit knnen Aufrufe zu mehr Zivilcourage nach hinten losgehen: Die Ministerpr§sidentin von Schleswig-Holstein übernahm seinerzeit die Schirmherrschaft über eine Anti-Nazi-Demo in Neumünster und rief in ihrer Rede zu mehr Zivilcourage gegen die Nazis auf. Die Schüler, die für diesen Tag frei bekommen hatten, verstanden das anders als es gemeint war: Sie §nderten die Demonstrationsweg in Richtung Kundgebung der Nazis. Die Polizei griff ein, kesselte die Jugendlichen ein. Es gab Verletzte. Da war Heide Simonis schon lange wieder weg.
Was h§tte Sie denn anderes tun sollen?
Politiker müssen sich viel mehr, viel grundlegender und vor allem viel zeitiger engagieren. Rechtes Gedankengut ist l§ngst in der Mitte der Gesellschaft salonf§hig geworden ¬ñ egal ob in Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern, in Ost oder West. Die Nazis versuchen, ihre menschenverachtende Ideologie über Schulhof-CDs, Rechtsrockkonzerte oder Nazil§den wie in der Doberaner Straüe immer weiter zu verbreiten. Dagegen protestieren die Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Aber es ist erschreckend, wenn Politiker, wie der Bürgermeister von Mügeln, nichts Besseres zu tun haben, als zu beschwichtigen. Egal, ob in den Gemeinden den L§ndern oder im Bund ¬ñ es gibt immer noch viel zu wenige Politiker, die das Nazi-Problem ernst nehmen und sich aktiv gegen Rechts engagieren. Nazis werden hchstens als l§stig empfunden. Sie sind aber eine Gefahr für unsere Demokratie.
Was kann man denn konkret tun?
In Neufeld in Schleswig-Holstein ist es nach Bürgerprotesten in diesem Jahr sehr schnell gelungen, dass eine ehemalige Gastst§tte, in der Nazis regelm§üig Rechtsrockkonzerte veranstalteten, dicht gemacht wurde.
In Neumünster haben wir den ¬ÑClub 88¬ì ¬ñ ¬Ñ88¬ì steht für ¬ÑHeil Hitler¬ì. Dort zieht sich die Auseinandersetzung leider schon über 10 Jahre hin. Zuerst haben wir erreicht, dass die Ausschankgenehmigung zurückgezogen wurde. Auch ffentliche Veranstaltungen dürfen dort nicht mehr stattfinden. Unser Bürgermeister hatte damals die ganze Zeit Angst ums Image: Wenn immer über den Club 88 und Neumünster berichtet würde, blieben erst die Touristen weg und dann die Investoren, fürchtete er. Das ist der falsche Ansatz. úber 12.000 Leute haben auf einer Liste dafür unterschrieben, dass alle Mglichkeiten geprüft werden sollen, um den Nazi-Club zu verbieten. Die Nazis sind in den Pausen auf den Hof der gegenüberliegenden Schule gekommen, haben Flugbl§tter und ihre Schulhof-CD verteilt. Die Schule hat das Problem ernst genommen, mit den Schülern diskutiert, aufgekl§rt und dann wurde eine braune Tonne aufgestellt, in der das rechte Propaganda-Zeug heute regelm§üig entsorgt wird. Inzwischen steht die braune Tonne in fast jeder Schule von Neumünster. Die Schule, die gegenüber des Nazi-Clubs liegt, ist übrigens inzwischen für dieses Engagement mit dem Titel ¬ÑSchule gegen Rassismus¬ì ausgezeichnet worden.
Der Nazi-Club in Neumünster ist aber immer noch da.
Ja, und inzwischen haben sie auch noch andere Treffpunkte gefunden. Das ist frustrierend und zeigt, wie schnell sich um einen solchen Kristallisationspunkt eine ganze Szene bilden kann. Umso wichtiger ist sich frühzeitig zu engagieren. Selbst wenn der Club und die anderen Treffpunkte von heute auf morgen weg w§ren ¬ñ die Nazis w§ren immer noch da. Die Auseinandersetzung muss auf anderen Ebenen stattfinden: Wir müssen aufkl§ren und überzeugen.
Wie stellt sich der Rechtsradikalismus eigentlich im Europ§ischen Parlament dar? Sind polnische Rechtsradikale anders als franzsische oder deutsche?
Seit Januar 2007 haben 23 Abgeordnete die rechtsextreme Fraktion ¬ÑIdentit§t Tradition Souver§nit§t¬ì im Europaparlament gegründet. Sie sind geleitet von Hass - Hass gegen Minderheiten, gegen ein multikulturelles Europa, gegen alle Andersdenkenden. Sie diskriminieren Migranten, Sinti und Roma, Juden. Jean-Marie le Pen wurde wegen Leugnung des Holocaust verurteilt. Diese Fraktion ist keine wirkliche politische Einheit; was sie eint, ist die Ablehnung der europ§ischen Demokratie. Der Kampf gegen Rechts erfordert grenzüberschreitendes Engagement: Wir waren in Bulgarien und Rum§nien, um den Menschen dort im Wahlkampf klarzumachen, warum man diese Politiker nicht w§hlen sollte. Dieses Engagement verbindet und verbündet auch.
Wenn die Nazis zum Alltag werden, ist dann nicht auch mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Problem ntig?
Natürlich ¬ñ im Kampf gegen Rechtsextremismus kann man keine hysterischen Reaktionen gebrauchen. Mehr Gelassenheit darf aber nicht mit weniger Entschiedenheit verwechselt werden.
Als sich kurz vor der letzten Wahl abzeichnete, dass die NPD in den Landtag kommen würde,
baten die Politiker die Bürger, w§hlen zu gehen und die Stimme den demokratischen Parteien zu geben um zu verhindern, dass die Rechten in den Landtag einziehen. Das sah ziemlich hilflos aus.
War es auch. Die Glaubwürdigkeit der demokratischen Parteien geht verloren, wenn sie erst dann wach werden, wenn die NPD schon an den Toren des Schweriner Schlosses rüttelt. Der Kampf gegen Rechtsextremismus braucht einen langen Atem. Mich persnlich hat es sehr erschreckt, dass beim Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern in manchen Drfern nur die NPD plakatiert hatte. Wir brauchen breite, langfristig angelegte Bündnisse aus Initiativen, Vereinen, der rtlichen Wirtschaft und den Schulen, die sich entschieden gegen Rechts engagieren. Der Kampf gegen Rechts geht uns alle etwas an. Kein demokratischer Politiker darf bei solchen Bündnissen abseits stehen.
Kommen Sie eigentlich mit Nazis ins Gespr§ch?
Nein, mit mir reden sie nicht, obwohl sie immer selbstbewusster auftreten. Mit der so genannten ¬ÑWortergreifungsstrategie¬ì versuchen sie gerade, demokratische Rechte für ihre undemokratischen Ziele zu missbrauchen. Bei meinen Veranstaltungen, bei denen ich mit dem Journalisten Andreas Speit unsere Broschüre ¬ÑRechtsextremisten in Norddeutschland¬ì vorstelle, besetzen sie meistens für eine halbe Stunde die hinteren Reihen und versuchen, die Anwesenden zu fotografieren. In Hamburg haben sie nach einer unserer Veranstaltungen die Scheibe unseres Grünen-Büros eingeschmissen. Davon darf man sich nicht einschüchtern lassen.
Muss man sich mit Nazis wirklich inhaltlich auseinandersetzen? Reicht es nicht, ihre Ideologie abzulehnen?
¬ÑNazis raus¬ì greift zu kurz. Man muss sich schon rantrauen an den ideologischen Dreck. Derzeit kommt es bei den Rechtsextremen in Mode, sich als die ¬Ñnetten Jungs von nebenan¬ì zu pr§sentieren. Sie unterwandern Sportvereine, engagieren sich in Elternbeir§ten oder wollen sich als Jugendbetreuer beim THW einschleichen. Auüerdem gibt es mittlerweile Diskussionen unter den Nazis, bei Demonstrationen nicht mehr militant aufzutreten und sich von Skinheads zu distanzieren, um so mehr Akzeptanz zu finden. Dagegen muss man aufkl§ren. Diese Wlfe im Schafspelz muss man entlarven. Und das funktioniert auch. Wir sind verletzlich, aber wir sind die St§rkeren.
Angelika Beer, danke für das Gespr§ch.
Hanse-Kurier
© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de