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Angelika Beer
MdEP

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Gel–bnisrede in Pl–n

25. 11. 2004

Sehr geehrter Herr Kapit”n Seele,
meine verehrten Damen und Herren aus der Politik und dem –ffentlichen Leben in und um Pl–n,
liebe G”ste und Angeh–rige,
ich begr¸þe Sie alle sehr herzlich und nicht zuletzt geh–rt mein besonderer Gruþ Ihnen, den Rekruten, den Soldatinnen und Soldaten! Sie stehen heute im Mittelpunkt dieses Feierlichen Gel–bnisses.

F¸r Sie ist das ein besonderer Tag, denn Sie werden in wenigen Minuten geloben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Auf diesen Tag sind Sie durch Ihre Ausbilder und Herr Mauersberger intensiv vorbereitet worden.

Sie werden vor Weihnachten diese Ihnen vertraut gewordene Umgebung der Grundausbildung verlassen und in Ihre Stammeinheiten gehen Der n”chste Abschnitt beginnt, aber es ist auch ein Bruch mit Vertrautem. Das wird sich in Ihrem Leben noch –fter wiederholen Ich selbst habe diese Br¸che immer wieder in vielerlei Hinsicht erfahren. Als ich 1987 erstmals als Bundestagsabgeordnete der Gr¸nen gew”hlt wurde, war die Politik bestimmt vom Kalten Krieg und der Gefahr nuklearer Aufr¸stung. Ich habe kaum eine Friedensdemonstration ausgelassen. Damals h”tte ich mir nicht vorstellen k–nnen - und die damals aktiven Soldaten sicher auch nicht, dass ich Jahre sp”ter - n”mlich zum Tag der Deutschen Einheit 2000- die Festrede vor unserer Einheit in Tetovo halten w¸rde, dass ich die Deutschen Bundeswehrkontingente in Afghanistan und die Marine in Djibuti besuchen w¸rde oder gar die Festrede auf –ffentlichen Gel–bnissen halte. Zur¸ck zum Oktober 2000 - Das war ein Jahr nach der milit”rischen Intervention im Kosovo. Nicht Friedensdividende nach dem Fall der Mauer sondern Ausbruch ethnischer Konflikte in Europa. Und an diesem Tag im Oktober 2000, ich erinnere mich gut an die skeptischen Blicke weil die gr¸ne Verteidigungspolitische Sprecherin eingeladen war, hatte ich - hatten wir alle noch keine Vorstellung von dem, wie sich unsere Bedrohungslage ver”ndern w¸rde. Der 11. September, die barbarischen Angriffe auf das World Trade Center haben den internationalen Terrorismus in unser Bewusstsein ger¸ckt und unser Handeln gepr”gt ñ ebenso wie die Anschl”ge am 11. M”rz 2004 in Madrid. Diese Br¸che sind mit Ursache daf¸r, dass ich heute als Gr¸ne Europaabgeordnete vor Ihnen rede. Ich rufe Sie auf, sich bei allen Ver”nderungen treu zu bleiben, denn nicht die Ver”nderungen sind das wichtigste, sondern Ihre Haltung und Einstellung. Auch Sie selbst werden sich ver”ndern ñ und das ist gut so. Denn wer sich nicht ”ndert bleibt sich nicht treu!

Einen Bruch haben Sie mit Sicherheit bereits erfahren: als Sie das erste Mal durch das Kasernentor gekommen sind. Ihnen werden sicher viele Unterschiede einfallen. Viele von Ihnen, den Soldatinnen und Soldaten, haben erstmals erlebt, was r”umliche Enge und N”he, ein straffer Tagesablauf mit vielen Regelungen und st”ndiger Dienstausicht bedeuten und welche Ver”nderungen das hervorruft. Nicht nur bei den M¸ttern, die den Freitag zum Waschtag machten, damit bis Sonntagabend alles wieder sauber und fertig f¸r den Dienst ist, sondern besonders bei Ihnen und in Ihnen. Sie trafen hier auf Menschen aller sozialen Schichten und mit dem unterschiedlichsten Bildungsstand. Sie waren gezwungen, sich in die Gruppe, die Stube, einzuf¸gen und die Kameradin, den Kameraden so zu akzeptieren, wie sie/er ist. Sie haben gelernt, zumindest gesp¸rt, welche Toleranz dazu geh–rt. Gelernt haben Sie sicherlich auch, dass Toleranz nicht nur bedeutet, neben einem anderen Menschen mit anderen Auffassungen und Erfahrungen zu leben, sondern mit diesem Menschen zu leben und sein Anderssein zu akzeptieren. Vergessen Sie diese Erfahrung nicht, denn sie ist nicht nur f¸r den weiteren Dienst in der Bundeswehr, sondern auch f¸r das weitere Leben in unserem Lande, in unserem demokratischen Rechtsstaat bedeutsam.

Aber: Sie haben ihr ziviles Leben nicht am Kasernentor abgegeben. Ihre demokratischen Werte und die Grundrechte haben sie mitgenommen und das muss so sein! Die Bundeswehr ist keine Parallelwelt zur offenen zivilen und demokratischen Gesellschaft, sondern Bestandteil dieser Gesellschaft, und sie tr”gt eine hohe Verantwortung f¸r Ihre Verteidigung! Wir leben in einer wehrhaften Demokratie, die es nicht nur nach auþen hin zu verteidigen gilt, sondern auch im Inneren. Nach auþen ist es der Job der Bundeswehr, im Inneren ist es Aufgabe einer jeden B¸rgerin und eines jeden B¸rgers diese Demokratie vorzuleben.

Viele von Ihnen werden fragen, warum? Viele von Ihnen werden sagen: ÑUnsere Demokratie ist doch nicht gef”hrdet!ì Ich widerspreche dem. Ich erinnere an den Mord an dem holl”ndischen Filmemacher van Gogh und die brennenden Moscheen in den Niederlanden und das f¸hrt zu der Frage, ob das nicht auch bei uns, in Deutschland, m–glich w”re. Ist unsere Demokratie wirklich nicht gef”hrdet? Verwundert reiben wir uns die Augen, wenn in der Nachbarschaft, in L¸tjenburg, 2 junge M”nner einen hilflosen Mann mit Baseballschl”gern so zusammenschlagen, dass er den Verletzungen erliegt. Bei uns nicht??? Mit Abscheu erleben wir, dass der Volkstrauertag f¸r eine Groþdemo der extremen Rechten auf einem Soldatenfriedhof in Halbe bei Berlin missbraucht wird. Bei uns nicht??? Sp”testens der Brandanschlag auf eine Moschee in Sinsheim bringt uns die Erkenntnis: Das alles gibt es auch bei uns!!!!


Seit vielen Jahren k”mpfe ich in der Politik und in der Gesellschaft gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Das sind nicht nur die rechtsradikalen Parteien, das ist ein gesamtgesellschaftliches Ph”nomen und betrifft uns alle. Denken Sie an die Parolen, mit denen gegen den Beginn der Gespr”che zu einem m–glichen EU-Beitritt der T¸rkei Stimmung gemacht wurde und wird. Da geht es nicht um die sachliche Diskussion, da geht es wie vor der letzten Wahl in Hessen um Stimmungsmache gegen Minderheiten in unserem Land.

Seien wir wachsam und treten wir energisch allen Versuchen entgegen, Antisemitismus und rechtsradiale Gedanken und Ideologien in unserer Gesellschaft zu verankern. Ich tue das regional als Co-Vorsitzende im Verein f¸r Toleranz und Zivilcourage in Neum¸nster. Jeder von Ihnen kann in der Gemeinde, in den Vereinen, im Freundeskreis, auf Ihrer Stube oder im Mannschaftsheim daf¸r eintreten, dass den Rechtsextremen keine Plattform geboten wird. Ich rufe Sie auf: Engagieren Sie sich, mischen Sie sich ein, schreiten Sie ein, schauen Sie nicht stumm zu! Ich appelliere an jeden von uns, Rechter Propaganda und deren Strategien mit sachlichen Argumenten entschieden entgegenzutreten!

Ein Merkmal des Staatsb¸rgers ist die Verantwortung f¸r sein Tun. Leben in einer Gruppe, ob freiwillig oder unter Zwang, f¸hrt zu einer gewissen Anpassung. In einer Armee gilt dies funktional in h–herem Maþe als in anderen Lebensbereichen. Doch auch in der Bundeswehr bleibt jeder ein Individuum und f¸r seine Taten selbst verantwortlich. Das gilt f¸r jede einzelne Soldatin, f¸r jeden einzelnen Soldaten, der keine Befehle befolgen darf, die ein Verbrechen oder Vergehen beinhaltet. In unserem Land ist die Antwort ìAber ich habe auf Befehl gehandeltÖ.ì kein Argument, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Und das ist richtig so.
Die menschenverachtenden Folterbilder aus Abu Ghraib und die j¸ngsten Fernsehaufnahmen von der Exekutierung eines wehrlosen Verletzten in einer Moschee in Falludscha sind die uns bekannten Extremf”lle.
Aber auch die Angst oder die Verrohung in einem Krieg rechtfertigt solches Versagen nicht. Unrecht bleibt Unrecht! Sie, Soldatinnen und Soldaten, haben viele Pflichten und Rechte. Sollten Sie eines Tages einen Befehl erhalten, der Folter oder Misshandlung anweist, haben Sie nicht nur das Recht sondern die Pflicht, den Befehl zu verweigern!

Die bekannt gewordenen Misshandlungen von Rekruten in Coesfeld rufen zur Wachsamkeit auf! Erniedrigung und Folter sind mit unseren demokratischen Grundwerten unvereinbar! F¸r Willk¸r und sinnlose Qual gibt es keine Rechtfertigung. Und f¸r Folter gilt in allen Lebensbereichen: null Toleranz.! Wer sich nicht an Recht und Gesetz h”lt, der hat als Vorgesetzter in der Bundeswehr keinen Platz. F¸r Sie alle gelten die Regeln des V–lkerrechts, die Gesetze unseres Landes und die eines m–glichen Einsatzlandes. Nur das ist Grundlage f¸r Ihr Handeln! Und an dieser Stelle widerspreche ich ausdr¸cklich jenen, die meinen behaupten, die Wehrpflicht sei das Bollwerk gegen die Folter! Nein, Sie als Staatsb¸rger in Uniform, wir alle als Gemeinschaft die unsere Demokratie verteidigen wo immer sie angegriffen wird, wir alle stehen in der Verpflichtung, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern wo immer sie begangen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren!
Der jetzige Transformationsprozess der Bundeswehr ist flieþend. Das hat auch Auswirkungen auf Standorte und Stationierungsentscheidungen. Ich habe anerkannt und hoch gesch”tzt, wie sachlich der B¸rgermeister von Kappeln, Herr Fiodora, um den Standort Olpenitz gek”mpft hat. Nicht jede Entscheidung ist einfach hinzunehmen und zu tragen, besonders wenn die Entscheidungsparameter nicht offen liegen. Gleichwohl: wir m¸ssen den Prozeþ der Europ”ischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorantreiben. Mit ihrer St”rkung der wird der Druck zur Ver”nderung weiter zunehmen und auch Auswirkungen auf die Wehrform haben. Wir werden, davon bin ich ¸berzeugt, wie die meisten der NATO Mitglieder ab 2007 - und insbesondere wie unsere neuen Partner Polen, Tschechien und Ungarn - eine Berufsarmee einf¸hren. Und ich bin sicher, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auch wenn sie freiwillig dienen, Staatsb¸rger in Uniform bleiben.

Die Herausforderungen an die Innere F¸hrung werden bei einer Berufsarmee steigen, doch das hohe Bewerberaufkommen und die bereits jetzt vorhandenen Auswahlverfahren verhindern eine Abschottung der Streitkr”fte von der Gesellschaft. Seit fast 50 Jahren haben wir die Bundeswehr und bereits mit der Generation der Kriegsgedienten konnte das Leitbild des Staatsb¸rgers in Uniform umgesetzt werden und ist heute ein ÑExportschlagerì in die Streitkr”fte der neuen NATO Staaten.

Liebe Rekruten,
Ich habe nun viel ¸ber Ihre Verantwortung gesprochen, doch Sie haben auch ein wichtiges Recht gegen¸ber der Politik. Ihre Abgeordneten stehen in der Verantwortung, die Notwendigkeiten und Risiken der Eins”tze der Bundeswehr sorgf”ltigst und gewissenhaft zu pr¸fen. Und das muss so sein. Gerade wenn die EU bis 2007 13 Battle Groups aufstellt, um mit Mandat der Vereinten Nationen schnell eingreifen zu k–nnen - so wie es die europ”ische Verfassung vorsieht - muss die parlamentarische Kontrolle im Europaparlament wie auch den Parlamenten der beteiligten Staaten gest”rkt werden. Der von manchen geforderte Verzicht auf den Parlamentsvorbehalt ist f¸r mich unvorstellbar!
Ich streite f¸r die die Europ”ische Verfassung ñ auch weil sie unseren Wertekatalog garantiert und das UN Mandat zur unabdingbaren Voraussetzung f¸r einen Einsatz Europ”ischer Streitkr”fte macht. Mit uns, mit Europa, gibt es keinen Pr”ventivschlag!

Seien Sie versichert, die Politik und wir als verantwortliche Politiker lassen Sie nicht allein. Wir schicken Sie nicht in milit”rische Abenteuer. Es ist unser gemeinsamer Wille, dass die Bundeswehr einsatzbereit ist und im Rahmen Ihres Auftrages aus dem Grundgesetz verf¸gbar ist. Das ist bedeutend mehr als die Verteidigungspolitischen Richtlinien des Verteidigungsministers, das ist Konsens in Regierung und Opposition.

Wenn die Bundeswehr wie in allerk¸rzester Zeit im Sudan, in Dafur eingesetzt wird, um Menschen in einer Trag–die zu helfen, dann eignet sich das nicht f¸r parteipolitische kleingeistige Streitereien. Jeder Einsatz von bewaffneten Streitkr”ften ist eine schwierige politische Entscheidung und Sie, die Soldatinnen und Soldaten haben Anspruch darauf, dass parteipolitische Streitereien nicht auf Ihrem R¸cken ausgetragen werden.

Wenn Sie gleich geloben Ñder Bundesrepublik Deutschland treu zu dienenì, dann bindet das einerseits Sie und verpflichtet andererseits auch unseren Staat, unsere Politik Sie im Rahmen unserer Verfassung zu unterst¸tzen und zu tragen. F¸r Ihren weiteren Weg w¸nsche ich Ihnen viel Erfolg!

Angelika Beer ist Mitglied des Europ”ischen Parlaments

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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