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Angelika Beer
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"Wir brauchen Friedensarbeiter"

21. 10. 2003

Angelika Beer sprach mit dem Bonner Generalanzeiger über Konfliktprävention, die Rolle des Zivilen Friedensdienstes und eine Reform der Bundeswehr. Das Interview der damaligen Bundesvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erschien am 21. 10. 2003 im Bonner Generalanzeiger.

Bonner Generalanzeiger (GA): Sie machen sich für eine Professionalisierung der Bundeswehr stark und setzen sich gleichzeitig für die Stärkung des Zivilen Friedensdienstes ein. Ist das nicht ein Widerspruch?

Angelika Beer: Nein, überhaupt nicht. Das zivilgesellschaftliche ist ein Tätigkeitsfeld, was Militär niemals leisten kann. Die Konflikte der letzten Jahre vom Kosovo über Makedonien bis Afghanistan - haben gezeigt, dass jedes Feld seine Existenzberechtigung hat. Ich setze mich dafür ein, dass das auch anerkannt wird und nicht die Arroganz des faktisch Stärkeren, des Militärischen also, den anderen Sektor wegdrückt. Und die rot-grüne Bundesregierung hat mehrere Maßnahmen eingeleitet, um die zivile Krisenprävention zu stärken.

GA: Zum Beispiel?

Beer: Wir haben das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze gegründet, das Freiwillige rekrutiert und trainiert und sich auch wissenschaftlich mit dem Thema befasst. Innerhalb der Bundesregierung sind wir dabei, einen Krisenpräventionsplan aufzustellen. Wir haben festgestellt, dass in diesem Bereich bisher jedes Ministerium vor sich hin agiert, aber manches nicht zusammen passt. Also werden jetzt alle Ressorts überprüft unter der Fragestellung: Was macht ihr in der Dritten Welt, wo wird was unterstützt? Und auf internationaler Ebene versuchen wir, die Umsetzung des Europäischen Friedenskorps in die Endphase zu bringen. In Zukunft müssen auch die nationalen Initiativen besser abgestimmt werden. Deutschland bastelt an nationalen Strukturen, Schweden tut das, Großbritannien tut das. Da lässt sich manches bündeln, um ungewollte Reibungsverluste im Einsatz zu vermeiden und Erfahrung und Know-how auszutauschen. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Sicher ist, dass der Stellenwert der Krisenprävention in Zukunft noch steigen wird.

GA: Was muss man sich unter einem Europäischen Friedenskorps vorstellen?

Beer: Es geht um nicht bewaffnete Kräfte, die auch im Rahmen der frühzeitigen nichtmilitärischen Intervention eingesetzt werden sollen. Sie sollen zum Bespiel versuchen, durch Schlichtung zwischen Ethnien zu vermitteln. Das alles unter dem Mandat der EU, also mit mehr Kraft und dem politischem Rückhalt aller EU-Mitgliedsländer oder auch auf Anforderung der Vereinten Nationen. Ein solches Korps, das auf einen Pool von Friedensarbeitern zurückgreifen kann, wäre sehr viel schneller in der Lage zu reagieren. Wir haben es oft genug erlebt, dass nach dem Ende von militärischen Einsätzen wie im Kosovo Friedensarbeiter gebraucht wurden, aber einfach nicht ausgebildet und nicht vorhanden waren.

GA: Auf einen Euro für zivile Konfliktbearbeitung kommen in Deutschland derzeit 1 000 Euro für militärische Optionen. Entspricht dieses Verhältnis der gewachsenen Bedeutung von Prävention, von der sie gesprochen haben?

Beer: So einfach ist das nicht. Beim Regierungswechsel 1998 wollten wir Grüne in den Koalitionsverhandlungen viel mehr Geld für Prävention einsetzen, stellten aber schnell fest, dass wir es gar nicht ausgeben konnten. Die dazu notwendige Institution, der Zivile Friedensdienst, musste ja erst aufgebaut werden. Ich bin aber überzeugt, dass man die Ausgaben in diesem Bereich kontinuierlich wird anheben müssen.

GA: Der Einsatz der Bundeswehr im afghanischen Kundus bleibt auch unter Nichtregierungsorganisationen (NRO) umstritten...

Beer: Ich habe alle NRO, die in Afghanistan zum Teil schon lange tätig sind, eingeladen und mir ihre Kritik angehört. Entscheidend ist für mich: Die Sicherheit dieser freiwilligen Helfer ist nur dadurch gegeben, dass sie nicht in Verbindung gebracht werden mit militärischen Einheiten. Die Bundeswehr sollte also nicht versuchen, reine NRO-Arbeit zu übernehmen, das ist nicht ihr Auftrag. Aber es ist natürlich sinnvoll, solche Teams zu schicken, die Voraussetzungen schaffen etwa für den Aufbau der Polizei, die schwierige Straßen und die Überlandversorgung absichern, oder die einen Hubschrauberlandeplatz zur Verfügung stellen, damit auch zivile Organisationen schnell mit Material versorgt werden können, wenn Bedarf da ist.

GA: Warum liegt Ihnen so viel an der Abschaffung der Wehrpflicht?

Beer: Das Ende der Wehrpflicht ist das Resultat einer konsequenten Reform der Bundeswehr. Das geht nicht von heute auf morgen: Man braucht ungefähr vier Jahre, um verantwortungsvoll die Wehrpflicht und damit auch den Zivildienst sozial verträglich abzuwickeln. Die Bundeswehr braucht neue Strukturen. Mehr Geld wird es nicht geben. Zugleich muss man für die Ausstattung der Soldaten im Einsatz mehr investieren. Das heißt, dass man mehr Personal reduzieren muss. Die "Allgemeine Wehrpflicht" ist bereits heute faktisch abgeschafft. Die noch bestehende Wehrpflicht wird, wenn sich das Konzept von Verteidigungsminister Struck durchsetzt, zu einer Auswahlwehrpflicht, und das heißt, dass wir keine Wehrgerechtigkeit mehr haben. Da gibt es auch verfassungsrechtliche Bedenken.

GA: Von Landesverteidigung ist heute kaum noch die Rede. Wo sehen Sie die Aufgaben der Bundeswehr?

Beer: Das Spektrum militärischer Einsätze reicht heute von ethnischen Konflikten bis hin zum Kampf gegen den internationaler Terrorismus. Das wird auch das zukünftige Anforderungsprofil sein. Die Bundeswehr wird sich, wenn das im Einzelfall politisch gewollt und völkerrechtlich gerechtfertigt ist, daran beteiligen. Es gibt kein grundsätzliches Ja - aber ein klares NEIN wenn es z.B. um völkerrechtswidrige Präventivschläge geht.

GA: Zu den Ursachen der Zunahme von Gewalt gerade in der Dritten Welt gehört die leichte Verfügbarkeit von Kleinwaffen. Wie steht es um die Bemühungen, den Handel damit einzuschränken?

Beer: Kleinwaffen sind heute Massenvernichtungswaffen, und ich bin froh, dass die Bundesregierung gerade in den letzten Monaten enorme Fortschritte gemacht hat, um den unkontrollierten Handel zu erschweren: Kleinwaffen dürfen jetzt nicht mehr an Privatpersonen geliefert werden. An Drittstaaten wird nur noch geliefert, wenn die Zusage besteht, dass die Altbestände vernichtet werden. Altbestände der Bundeswehr werden nicht mehr verkauft, sondern hier zerstört. Das sind drei wesentliche Schritte. Ein weiterer Punkt, den ich für wichtig halte, ist die Verpflichtung der Hersteller, die Waffen zu kennzeichnen, damit der Weg, den sie nehmen, eindeutig nachvollzogen werden kann. Aber das ist leider auch international noch nicht mehrheitsfähig.

Das Interview führte Lutz Warkalla.

 

 

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Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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