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Angelika Beer
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Gefahr am Meeresgrund - Alte Weltkriegsmunition schafft neue Probleme

25.11.08

Hannover (dpa/lni) - Aus den Augen, aus dem Sinn. Dass dieses Motto das Problem nicht l–st, zeigt sich auch bei den Altlasten in der Nordsee. Dort wurde nach Kriegsende massenhaft Munition entsorgt. Allein vor Niedersachsens K¸ste rosten laut Expertendarstellung bis zu eine Million Tonnen Kampfmittel am Meeresgrund vor sich hin. Jetzt, nach gut 60 Jahren, droht der Umwelt nach Bef¸rchtungen von Wissenschaftlern eine erste Welle der Verseuchung. Menschen hingegen sind schon seit langem gef”hrdet: Bei Unf”llen mit Munition gab es auch in j¸ngerer Zeit immer wieder Verletzte, sagte der Meeresbiologe und Umweltgutachter Stefan Nehring am Dienstagabend in Hannover bei einem von den Landtags-Gr¸nen organisierten Fachgespr”ch zum Thema.

Das nieders”chsische Umweltministerium warnte vor Panikmache. Die Belastung werde als ´nicht signifikantª eingestuft, eine Anreicherung von Schadstoffen etwa in Fischen sei ´bisher nicht nachgewiesenª, gab Rudolf Gade die Sicht des Ministeriums wieder. Und im Meer gebe es ´extrem hohe Verd¸nnungsratenª. Allerdings r”umt der Ministeriums-Mann ein, dass diese Bewertung schon rund 15 Jahre alt ist. Neuere Zahlen gibt es nicht. Bis 2010 soll es jedoch ´eine Ðberpr¸fung der –kotoxikologischen Lageª geben - auch auf Druck der Europ”ischen Union, die eine Neubewertung w¸nscht. Bund und K¸stenl”nder haben sich zusammengetan und beraten ¸ber das Vorgehen, gehandelt wird aber wohl nicht vor 2010.

Experte Nehring sprach hingegen von ´beh–rdlichen Mythenª, mit denen wissenschaftliche Fakten seit Jahren ignorieren w¸rden. Der promovierte Biologe gilt als Experte auf dem Gebiet, er ist als freier Gutachter auch f¸r Land und Bund t”tig. ´Es gibt aktuell viel mehr munitionsbelastete Fl”chen als auf den Karten verzeichnet.ª So sei beispielsweise die in der Jade n–rdlich von Wilhelmshaven gelegene Hooksiel Plate bisher nicht auf Altlasten untersucht worden. Dabei sei diese Fl”che eines der gr–þten Gebiete ¸berhaupt gewesen, in denen Munition versenkt worden sei. Hunderttausende Tonnen lagerten dort. ´Nach Angaben des Wasser- und Schifffahrtsamtes Wilhelmshaven k–nnen es sogar bis zu eine Million Tonnen seinª, berichtet Nehring ¸ber seine Recherchen.

Besonders brisant: An der Jade entsteht der Tiefwasserhafen JadeWeserPort. Bei den vielen Sandbewegungen gab es in diesem Sommer beinahe t”glich explosive Funde, die Arbeiten gerieten ins Stocken. Die Beh–rden hatten Probleme, den st”ndigen Alarm zu bew”ltigen. ´Wir r¸cken dort nicht mehr an, ein privater Dienstleister hat das jetzt ¸bernommenª, sagt Joachim Noparlik vom Kampfmittelbeseitigungsdienst. Nehring h”lt es gut f¸r m–glich, dass die groþfl”chigen Arbeiten am JadeWeserPort die Str–mungen ver”ndern und bald noch mehr Munition von der Hooksiel Plate freisp¸len. ´Die Chance ist relativ groþ.ª

Nehrings Angaben zufolge ist die Untersch”tzung der Gefahr auch dem Hickhack um Verantwortlichkeiten geschuldet. So seien s¸dlich von Helgoland am 27. September 1949 etwa 90 Tonnen Granaten versenkt worden, die den t–dlichen Chemie-Kampfstoff Tabun enthalten. Die 6000 Geschosse l”gen dort noch immer, Aufzeichnungen der ehemaligen Bezirksregierung Weser-Ems und der Wasserschutzpolizei lieþen keinen Zweifel zu. ´Wenn man da nachbohrt, gibt es beharrliches Schweigen. So eine Art Stillschweigeabkommenª, sagte Nehring. Der Grund: Das Gebiet z”hle heute zu Schleswig-Holstein - die Granaten stammten aus dem nieders”chsischen Diepholz. Und keine Seite wolle zust”ndig sein.

Dabei dr”ngt die Zeit, sagt der Meeresbiologe. Wissenschaftler aus Russland h”tten in Versuchen errechnet, dass Munition im Meer in der Regel erst nach 60 bis 70 Jahren so weit zersetzt sei, dass ihr giftiger Inhalt ins Wasser str–me. Bei nach 1945 versenkten Kampfstoffen m¸sste es also bald so weit sein. F¸r eine Neubewertung der Gefahr d¸rfe daher keine Zeit verstreichen, forderte Nehring.

Dass die Brisanz des Themas aber offensichtlich seit Jahren v–llig untersch”tzt wird, zeigte der Redebeitrag von Dirk Sander, Pr”sident des Fischereiverbandes Weser-Ems. Regelm”þig h”tten seine Kollegen Munition in den Netzen - wann sie den Kampfmittelbeseitigungsdienst alarmieren sollten, w¸sste aber niemand so recht. ´Wir br”uchten da ja eigentlich auch mal eine Telefonnummerª, sagte der Verbands- Pr”sident. Der Gr¸nen-Europaparlamentarierin Angelika Beer fiel dazu nur kr”ftige Beh–rdenschelte ein: ´Das ist ja vollkommen unfassbar. Wie kann es denn sein, dass diejenigen, die am meisten gef”hrdet sind, seit Jahrzehnten keine Informationen haben?ª

 

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Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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