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Angelika Beer
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Sprengstoff am Meeresgrund - Experten warnen vor der Gefahr verrottender Munition in Nord- und Ostsee

10.07.2007

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf dem Grund der Nord- und Ostsee vergammeln seit dem Zweiten Weltkrieg Hunderttausende Tonnen Sprengstoff und chemische Munition. Weil die Bomben und H¸lsen nach und nach durchrosten, droht ihr giftiger Inhalt ins Meer zu gelangen und an die K¸sten gesp¸lt zu werden, warnen Umweltverb”nde und Wissenschaftler seit langem. Erdbebenmessger”te registrieren zudem regelm”þig Detonationen im Meer. Am heutigen Dienstag debattiert das Europ”ische Parlament dar¸ber, ob das Problem der Munitionsaltlasten in das "Gr¸nbuch Meerespolitik" der EU aufgenommen werden soll. Dieses Werk soll Regeln f¸r Wirtschaft, Umweltschutz, Fischerei und Tourismus der Meeresanrainer enthalten.

Die Landesregierung von Schleswig-Holstein h”lt die Bedrohung durch die Kampfstoffe f¸r gering. Sie st¸tzt sich auf die chemische Untersuchung eines sieben Quadratkilometer groþes Areals vor der Kieler F–rde. In diesem Gebiet liegen mindestens zwei Munitionsdepots. Eines von ihnen - es befindet sich nur zweieinhalb Kilometer vor der K¸ste in nur zehn Meter Wassertiefe - war im vergangenen Herbst gesprengt worden. Eine Vorsorgemaþnahme, damit die 70 Torpedo-Sprengk–pfe und Minen nicht unkontrolliert explodieren.

Doch die Sprengung hat die Gefahr wom–glich nur verlagert: Der TNT-Sprengstoff br–ckelte ins Wasser, Wissenschaftler warnten vor den Folgen einer schleichenden Vergiftung der Ostsee. Wasser und Meeresboden seien jedoch nicht verunreinigt, berichtet das Kieler Umweltministerium jetzt. Das habe die besagte chemische Untersuchung von 18 Sandproben des Meeresgrundes und 16 Wasserproben ergeben. Bislang hat das Ministerium allerdings nur eine Pressemitteilung ver–ffentlicht, den Untersuchungsbericht selbst bleibt sie schuldig.

Lediglich "in der N”he" eines Munitionsdepots sei TNT in geringer Dosis nachgewiesen worden, sagt Bernd Scherer, Referatsleiter f¸r Meeresschutz im schleswig-holsteinischen Umweltministerium. Ansonsten liege der Anteil von Schadstoffen "unterhalb der Bestimmungsgrenze von 0,02 Milligramm je Kilogramm". "Die Untersuchung hat gezeigt, dass von dem Sprengstoff kein Gift ins Meer gelangte", sagt Scherer.

Das sei ein Trugschluss, widersprechen die Umweltverb”nde Naturschutzbund, die Gesellschaft zum Schutz der Meeress”ugetiere und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine. Mit hohen Giftmengen in Wasser und Sand sei gar nicht zu rechnen gewesen. Gef”hrlich seien vielmehr Sprengstoffpartikel. Sie k–nnten von den Str–mungen an Str”nde transportiert oder von Muscheln aufgenommen werden und damit in die Nahrungskette gelangen. Diese Gefahr sei jedoch nicht untersucht worden.

Auch der Umweltgutachter Stefan Nehring, ein Experte f¸r untermeerischen Sprengstoff, zweifelt an der Aussagekraft der Untersuchung des Ministeriums: "Die gemessenen Konzentrationen der Gifte sagen wenig." Vielmehr m¸sse getestet werden, wie sich die Summe der Substanzen auf Lebewesen auswirke. Auþerdem kritisiert Nehring die Orte, an denen die Proben genommen wurden. "Offenbar wurde h–chstens eine Probe in der N”he eines Munitionslagers entnommen", sagt Nehring. Ob der Sprengstoff giftige Klumpen freisetze, lasse sich jedoch am besten direkt neben dem Sprengstoff messen. Zudem bleibe unklar, ob der punktuell erh–hte TNT-Wert auf ein bislang unbekanntes Munitionsdepot hinweise.

Das Umweltministerium sieht sich nun in einer Zwickm¸hle. "Wenn wir das Meer nicht untersuchen, stehen wir in der Kritik. Nun haben wir untersucht - und werden dennoch angeklagt", sagt Scherer. Angelika Beer, Europaparlamentarierin der Gr¸nen, nennt die Untersuchung der Regierung Schleswig-Holsteins einen "plumpen Beschwichtigungsversuch". Es reiche nicht aus, punktuell und "mit fragw¸rdigen Grenzwerten" Analysen durchzuf¸hren.

Immer wieder zeigen ¸berraschende Funde in K¸stenn”he, dass die Bedrohung wom–glich untersch”tzt wird. Erst k¸rzlich entdeckte Fernsehteam in der Kieler F–rde 70 Torpedo-Sprengk–pfe und Minen. 2001 waren zwei Dutzend Wasserbomben und 3000 Granaten in der Flensburger F–rde gefunden worden. "Allein nahe der deutschen Ostseek¸ste gibt es mindestens 16 Munitionsdepots", sagt Nehring. Und: "Viele Lager d¸rften noch unentdeckt sein."

Die Entsorgung der Munition am Kriegsende vor 62 Jahren verlief zuweilen chaotisch. Groþe Mengen Munition wurden nicht an den vorgesehenen tiefen Stellen versenkt, weil die Bootsf¸hrer pro Ladung entlohnt wurden und so schnell wie m–glich die n”chste Fracht aufnehmen wollten. Entsprechend liegen die Kampfstoffe verstreut am Meeresboden, Str–mungen und Fischernetze verteilten das Kriegsmaterial immer weiter, sagt Nehring. Dennoch ist die Mehrzahl der Depots in Seekarten verzeichnet.

Explosionsk–rper seien in der Ostsee "allgegenw”rtig", r”umte auch die schleswig-holsteinische Landesregierung 2001 in einem Fischerei-Bericht ein. Die K¸stengew”sser der Ostsee seien "auch auþerhalb der bekannten Versenkungsgebiete stark kampfmittelbelastet", lautete die Antwort auf eine FDP-Anfrage. Zu wie vielen Unf”llen das f¸hrt, ist aber unklar. Nur D”nemark ver–ffentlicht eine Statistik. Dort verletzen sich j”hrlich etwa 20 Menschen, vor allem Fischer, durch Kampfmittel auf dem Meer. 2005 wurden drei niederl”ndische Fischer von einer Bombe get–tet. Chemische Kampfstoffe k–nnen zudem zu Verbrennungen und Ver”tzungen f¸hren, Erblindung verursachen und Krebs ausl–sen. Dutzende Fischer und Marinesoldaten mussten das bereits erleiden.

Bislang seien Munitionsverletzungen auf der Ostsee "Einzelf”lle", sagte Kai Kehe vom Institut f¸r Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr k¸rzlich auf einer Tagung in Berlin. Er wies zudem auf die "besondere Gefahr" der Bergung von Munition hin. Die Gr¸nenpolitikerin Beer hingegen fordert von der EU "Maþnahmen zur Sicherung und Bergung der Kriegsaltlasten" zu pr¸fen. Am Mittwoch will das EU-Parlament dar¸ber abstimmen, ob das Thema Munition auf der Tagesordnung der Politik bleibt. AXEL BOJANOWSKI

S¸ddeutsche Zeitung

 

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Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
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