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Angelika Beer
MdEP

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Öffentliche Konferenz ¬ÑIran nach den Wahlen¬ì

Brüssel, am 29.06.2005

Konferenz der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

Die Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament veranstaltete am 29. Juni eine ganztägige internationale Konferenz zum ¬ÑIran nach den Wahlen¬ì. In vier Diskussionsrunden beschäftigen sich die Expertinnen und Experten mit dem Wahlergebnis, seinen Folgen für die Menschenrechte, dem Verhältnis von Religion und Staat im Iran und den Beziehungen zwischen dem Iran und der EU. Über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten der sehr offenen und lebhaften Diskussion über alle Aspekte der iranischen Gesellschaft.


I. Wahlanalyse
Die Wahlanalyse stand im Mittelpunkt des ersten Panels, welches von Monica Frassoni, der Vorsitzenden der Grünen/EFA im Europäischen Parlament moderiert wurde.

Firouzeh Nahavandi, Direktorin des Soziologischen Instituts der Freien Universität Brüssel, führte das Wahlergebnis auf die wirtschaftliche und soziale Lage vieler Wähler zurück. 60% derjenigen, die zur Wahl gegangen sind, seien unfrei in ihrer Entscheidung, da sie in Armut lebten und den wählten, der ihnen Brot gebe. Viele der sozial Schwachen seien an die Moscheen gebunden, weil es dort Essen gebe. Als Kernproblem sah sie die Klerokratie des Irans. Ganz entscheidend für die "Öffnung des Geistes" seien Bildung und Ausbildung. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt dafür, sei der hohe Frauenanteil unter den Studierenden.

Vorteil des Wahlergebnisses ist aus ihrer Sicht, dass sich jetzt das wahre Gesicht des Iranischen Systems zeige, mit dem sich bisher die ganze Welt System arrangiert habe.

Ali Reza Nourizadeh, Journalist in London, wertete das Wahlergebnis als Ergebnis eines Staatsstreichs Kameneis. Chatami sei nicht in der Lage gewesen zu regieren - aber er habe dennoch die Öffnung der Gesellschaft vorangebracht.

Mehdi Khanbaba-Therami sah in dem Wahlergebnis einen vorläufigen Sieg der Traditionalisten im seit Beginn der Revolution laufenden Kampf zwischen Tradition und Modernität. Allerdings blase der Wind der Veränderung aus allen Richtungen. Khanbaba-Therami nannte als Beispiele die Bewegungen der Frauen und der Jugendlichen.

 



 

 

 

 

 

Reza Moini, Iran-Korrespondent von ¬ÑReporter ohne Grenzen¬ì, verwies darauf, dass nicht nur der Wächterrat Demokratieverlust gebracht habe, insbesondere auch das Fehlen von Presse- und Meinungsfreiheit mache demokratische Wahlen von vorne herein unmöglich. 200 Journalisten stünden vor Gericht und ihnen drohten Folter und Todesstrafe.

Angelika Beer, MdEP und Präsidentin der Iran-Delegation des Europäischen Parlaments, bezeichnete die Präsidentschaftswahlen im Iran als undemokratisch. Sie verwies darauf, dass der vom Volk nicht demokratisch legitimierte Wächterrat im Vorfeld der Wahlen nur 8 der 1000 Kandidaten und Kandidatinnen zugelassen. Alle weiblichen Kandidatinnen seien ausgeschlossen gewesen. Die bisherige iranische Führung habe mit diesem undemokratischen Wahlsystem von vorn herein die Chance verpasst, die Weichen für eine sichere Zukunft zu stellen. Beer stellte klar, dass der Prüfstein für die Außen- und Menschenrechtspolitik des neuen Präsidenten sein werde, ob durch die Fortführung der Verhandlungen der "EU-3" und Iran die militärische Nutzung des iranischen Atomprogramms nachprüfbar verhindert werden könne und im Herbst wie vereinbart der Menschenrechtsdialog wieder aufgenommen wird.

Auch Michael Gahler, MdEP und ehemaliger Iran-Berichterstatter des EP, bezeichnete die Wahlen als weder frei noch fair aufgrund der Vorauswahl durch den Wächterrat. Zuversicht schöpfte er jedoch daraus, dass die demografische Entwicklung auf Seiten der Demokratie stünde. Europa sollte daher nicht nur zur Regierung Kontakte pflegen.


II. Menschenrechte

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments Helene Flautre (Grüne/EFA) moderierte die zweite Diskussionsrunde zum Thema Menschenrechte. Sie warnte davor, den politischen Dialog mit dem Iran zu unterbrechen, auch wenn sich dieser bisher sehr durchwachsen gestalte.

Der Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist Karim Lahidji hinterfragte kritisch, was schon Wahlen und ein neuer Präsident bedeuten könnten, wenn der Iran kein politisches System hat, in dem das Volk die Macht habe. Von einer Republik zu reden passe deswegen nicht, vielmehr müsse man von einer klerikalen Oligarchie sprechen. Exekutive sei der oberste religiöse Führer.
Er kritisierte scharf, dass die EU mit diesem Regime offiziell Kontakte pflege und die EU-3 sich dabei auf Kontakte mit der Regierung konzentriere, die Zivilgesellschaft aber außen vor lasse. Er plädierte für die Besinnung der EU auf die Prinzipien von Helsinki. Der Westen müsse die Fahne der Demokratie und Menschenrechten hochhalten.

Dr. Azadeh Kian-Thiˆ©baut, Politikwissenschaftlerin an der Universität von Paris VIII, zeigte sich in Bezug auf die Situation der Frauen sehr vom Wahlergebnis beunruhigt, auch wenn der neue Präsident sicherlich nicht zurück in die 80er gehen könne.

Es habe in der iranischen Gesellschaft schon einige Überraschungen gegeben. Nicht nur in der Hauptstadt gäbe es mutige Frauen wie Shirin Ebadi, sondern auch in den entfernten Winkeln des Landes. Immerhin seien es die Frauen gewesen, die als erste auf die Strasse gegangen seien.

Der Schriftsteller und stellvertretende Präsident des iranischen Schriftstellerverbandes Aliashraf Darvishian betonte die Bedeutung von Zensur für totalitäre Regime. Viele ausländische Bücher seien im Iran nicht lesbar, viele Kollegen würden verhaftet, gefoltert und ermordet und auch bei der Internetnutzung hinke der Iran der Entwicklung 25 Jahre hinterher.

Die renomierte iranische Dichterin Simin Behbahani zeigte sich sprachlos angesichts der Menschenrechtssituation im Iran - ¬ÑWas soll man noch sagen? Wie kann man ein religiöses Gesetz über ein menschliches stellen? Wie kann man Folter und Hinrichtung verordnen?¬ì Meinungsfreiheit sei ein Grundprinzip der Menschenrechte. Macht werde nicht von Gott erteilt.


III. Religion und Regierung

In einem dritten Panel ging es um das Verhältnis von Religion und Staat. Michael Gahler moderierte dieses Panel zusammen mit Simon Coveny, MdEP und Berichterstatter des EP zu Menschenrechten.

Michael Gahler kritisierte, dass Religion vom iranischen Staat interpretiert und monopolisiert werde.

Der Philosoph Dr. Aramesh Doostar verwies darauf, dass der Iran in seiner Geschichte keine Aufklärung nach westlichem Vorbild hatte. Von außen sei dieses Problem nicht zu lösen. Die Religion müsse reformiert werden und vom Staat getrennt werden. Intellektuelle müssten die Religion öffnen.

Dr. Mehrdad Darvishpour, Professor für Soziologie an der Universität Stockholm, warnte jedoch vor zu großen Hoffnungen auf eine Reform der Religion. Im Islam gebe es keine Trennung zwischen Himmel und Erde. Die islamische Revolution wollte eine spirituelle Identität für eine Bevölkerung, die man als schwach angesehen habe. Man könne eine religiöse Gesellschaft nicht von heute auf morgen verändern. Religion müsse verändert werden. Er plädierte entschieden für eine Trennung von Staat und Religion. Der Islam sei eine aggressive Religion, er sei heute das, was das Christentum schon hinter sich habe. Religiöse Macht baue auf der Angst der Menschen auf. Eine weltliche Macht dagegen würde auf dem Mut der Menschen aufbauen. 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

Omid Nouripour, Mitglied des Bundesvorstandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, betonte, die Menschen heute im Iran wollten einen säkularen, aber keinen areligiösen Staat. Deswegen stelle sich die Frage der theologischen Reform weiterhin. Die Frauenfrage bleibe der Motor für gesellschaftliche
Modernisierung - das Familienrecht sei dabei entscheidend. Die Pressefreiheit sei die dritte Säule für die Schaffung demokratischer Strukturen im Iran. Ohne demokratische Strukturen werde es auch für den Westen auf Dauer keine Sicherheit und Stabilität geben.


IV. EU-Iran Beziehungen

Das Panel zu den gegenwärtigen Beziehungen zwischen dem Iran und der EU wurde von Angelika Beer moderiert.

Patrick Laurent, Leiter der Abteilung Iran, Irak, Golfstaaten und Jemen der EU-Kommission bezeichnete das Wahlergebnis als große Überraschung. Rafsandschani habe anscheinend nur Chancen bei der verwestlichten Elite gehabt. Der Ruf von Ahmadinedschad nach sozialer Gerechtigkeit sei dagegen erfolgreicher gewesen. Laurent betonte vor diesem Hintergrund die Gefahr eines nationalistischen Rückfalls.

Die Wahlen seien durch den Ausschluss vieler Kandidatinnen und Kandidaten nicht frei und fair gewesen. Aber das Ergebnis könne man nicht mit Unregelmäßigkeiten erklären, vielmehr habe eine klare Entscheidung des Volkes stattgefunden. Die Konservativen hätten sich konsolidiert ¬ñ sie hätten jetzt die Macht im Parlament, im Wächterrat und stellten den Präsidenten.

Für die EU bedeute dies, dass sie einen noch komplizierteren Partner bekomme. Wichtig sei, dass der Iran Zugang in die moderne Wirtschaftswelt habe, allerdings dürften wir bei den Menschenrechten kein Auge zudrücken. Auf der politischen Ebene gehe es um Bekämpfung des Terrorismus und Menschenrechte. Es werde kein Handels- und Kooperationsabkommen-Abkommen geben, wenn wir keine zufriedenstellende Ergebnisse im politischen Bereich hätten. Die Frage der Kernenergie habe zu große Bedeutung bekommen und überdecke die anderen wichtigen politischen Bereiche. Laurent plädierte vorerst für eine Strategie des Abwartens und Teetrinkens: ¬ÑMal sehen was der neue Präsident vorhat.¬ì

In Bezug auf den Atomstreit betonte Laurent, dass der EU im Gegensatz zu den USA eine große Breite von Instrumenten zur Verfügung stünde. Eine Rakete auf Atomanlagen wäre wie ein Tritt in einen Ameisenhaufen.

Entschieden widersprach er der Einschätzung, die EU stelle die Menschenrechte hinten an und unterstütze die Zivilgesellschaft nicht genügend. ¬ÑWir müssen aber die Atomfrage jetzt lösen, sonst stürzt alles wie ein Kartenhaus zusammen. Im Gegensatz zu den USA, die Geld an Exiliraner geben, geben wir direkt Geld ins Land.¬ì
Die USA wüssten auch nicht, was sie mit dem Iran machen sollen. Es sei das verdienst der EU, den WTO-Beitritt des Iran auf die Tagesordnung gesetzt zu haben und damit die USA auf unsere Seite gebracht zu haben.

Farah Karimi, Abgeordnete im niederländischen Parlament für ¬ÑGroenLinks¬ì, kritisierte, dass sich die EU ausschließlich mit der Nuklearfrage beschäftige. Im Bereich Menschenrechte passiere gar nichts. Seit 2 Jahren setzten alle Europäer auf Rafsandschani. Die Parlamentswahl habe den langsamen Putsch der Konservativen vollendet.
Karimi kritisierte die EU scharf. Sie habe zu wenig gegen Verhaftung Journalisten und Webloggern gemacht. ¬ÑWir können nicht Tee trinken!¬ì EU und USA bräuchten eine abgestimmte, gemeinsame Strategie. Atomprogramm und Menschenrechte müssten gleichberechtigt behandelt werden. Sollte der Iran allerdings erst im Besitz von Nuklearwaffen sein, werde er sich nichts mehr sagen lassen. Deswegen solle die Angelegenheit vor den UN-SR.

 

 

 

 

 

 

 

Angelika Beer gab zu bedenken, dass auch die zivile Nukleartechnologie große Risiken berge. Sie betonte außerdem, dass im Atomstreit mit dem Iran die Entscheidung zwischen der National Security Strategy der USA mit der Ermöglichung von Präventivschlägen und der Europäischen Sicherheitsstrategie falle, die stattdessen auf Verhandlungen setze, um eine friedliche Koexistenz im Nahen und Mittleren Osten zu erreichen.

Hossein Derakhashan, Web Blogger aus Kanada, verwies darauf dass der neue Präsident beim ersten Wahlgang nur 5 Millionen Stimmen erhalten habe. Genau so viele wirklich Konservative gebe es im Iran. Dass er bei der Stichwahl gewonnen hat, läge daran, dass niemand Rafsandschani traue - jeder hätte gegen ihn gewonnen. Das größte Problem im Iran sei die Apathie und die fehlende Politisierung der Jungen. Amerikanisches Satellitenfernsehen würde diese Apathie fördern ¬ñ eine Wirkung die auch dem iranischen Regime passe. Das Internet sei das Gegenteil und werde deswegen auch so stark eingeschränkt. Derakhashan regte an, die EU Internet-Providern helfen.

Youssef Molaie, Professor für internationales Recht an der Universität Teheran, stellte fest, dass der Iran noch keine wirkliche Souveränität habe. Die Wahl sei nur eine Überraschung für diejenigen gewesen, die die Komplexität der iranischen Gesellschaft nicht verstünden. Die Gesellschaft häute sich. Er kritisierte, dass die EU keine Iran-Strategie habe und auch keine Nahost-Strategie. Deswegen schiele der Iran zu den USA.

Elmar Brok, MdEP und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments betonte, dass die Konferenz zu einem wichtigen Zeitpunkt stattfinde. Ohne Rechtsstaat und Demokratie sei alles nichts. Wenn es Fortschritte im Bereich Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie gebe, sei das EP auch bereit entsprechende Wirtschaftsabkommen zu ratifizieren.

Entscheidend für die Wahl seien Klassenunterschiede gewesen. Vielleicht sollte die EU Hilfestellung für die Armen und Sozialschwachen anbieten, die den neuen Präsidenten gewählt haben? Wir würden dann dem neuen Präsidenten ein Angebot machen, dass er schwer ablehnen kann.

Karim Lahidji forderte, dass wenn es bei den Atom-Verhandlungen keine konkreten Ergebnisse gebe, müssten sie abgebrochen werden. Die Verhandlungen dürften insbesondere nicht nur auf Regierungsebene laufen, sondern immer auch Vertreter der Zivilgesellschaft einbeziehen.

Dieser Bericht beruht auf einem Gedächtnisprotokoll der Veranstaltung und wurde nicht von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern authorisiert.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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