Direkt zur Navigation

Angelika Beer
MdEP

Sie sind hier: angelika-beer.de | Zur Person

zurück zu: Zur Person

Interview: "Wir müssen unsere Grundsätze weiterentwickeln"

Du bist sehr früh in die Politik geraten, da warst du gerade volljährig. Wie kam das?

Angelika Beer: Um das in Stichworten zu erzählen: Ich habe früh meine Eltern verloren, bin mit 16 Jahren Mutter geworden, habe geheiratet und mich mit 18 Jahren wieder scheiden lassen. Und dann habe ich ganz neue Leute kennen gelernt, eine Berufsausbildung begonnen, engagierte mich gegen Brokdorf, Grohnde und Maville, gegen die Nachrüstung ... das hat mich überzeugt. In dieser Zeit bin ich im Kommunistischen Bund aktiv geworden. Als Mitglied der Z-Gruppe, einer Splittergruppe des KB, habe ich dann die ¬ÑListe für Demokratie und Umweltschutz Schleswig-Holstein¬ì, dem Vorläufer der Grünen, mitgegründet. Ich habe mit allem gebrochen, womit ich aufgewachsen bin. Ich komme aus einem konservativen Elternhaus. Mein Vater war CDU-Abgeordneter.

Die Grünen waren also Ausdruck für den gesellschaftlichen Umbruch?

Beer: Natürlich. Es war eine faszinierende Bündnisbewegung. Eine bunte Mischung aus Spontis, Ex-K-Gruppenmitgliedern, Radikalökologen, Feministinnen, PazifistInnen und AntimilitaristInnen. Jede Diskussion war spannungsgeladen. Wir haben nächtelang zusammengesessen und über den richtigen Weg gestritten: Außerparlamentarische Opposition, dann der Übergang vom außerparlamentarischen Standbein und dem parlamentarischen Spielbein, bis hin zur Frage der Regierungsbeteiligung auf Landesebene.

Ganz einfach wird die Zeit nicht gewesen sein, denn gerade die schleswig-holsteinischen Grünen haben bis 1990 stark mit parteiinternen Strömungsproblemen zu kämpfen gehabt.

Beer: Ja, das stimmt. Der Strömungskonflikt auf Bundes- und Landesebene hat unendlich viel Kraft gekostet. Wir, die alles anders, besser und menschlicher machen wollten als die anderen, sind mit uns selbst nicht gerade zimperlich umgegangen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben zum Glück diese Gräben überwunden.

Du bist dann sehr geradlinig den Weg zur professionellen Politikerin gegangen. Warum?

Beer: Ich bin zum ersten Mal 1987 in den Bundestag gewählt worden. Eigentlich hatte ich damit gar nicht gerechnet. Die Umfrageergebnisse waren ja wackelig. Als wir dann drin waren, legten meine politischen Ziele - Abschaffung der Bundeswehr, raus aus der NATO, Kampf für Menschenrechte - nahe, in den Verteidigungsausschuss zu gehen. Mich hat immer die Leidenschaft getrieben, durch aktives Einmischen, etwas bewegen und beeinflussen zu können. Ich hatte nie vor, Berufspolitikerin zu werden.

Solche Pläne wären ja ohnehin unterbrochen worden, als 1990 die Grünen aus dem Westen nicht mehr in den Bundestag kamen.

Beer: Für mich war das im Nachhinein betrachtet ein positiver Bruch. Die vier Jahre außerparlamentarische Arbeit waren geprägt durch die Arbeit mit NGOs im kurdischen Norden Iraks nach dem zweiten Golfkrieg, der Koordinierung der internationalen Kampagne gegen Landminen für medico international und die Mitarbeit im Grünen Bundesvorstand als Beisitzende. Heute, nach 28 Jahren politischer Arbeit ist klar: der größte Erfolg war außerparlamentarisch - die Verleihung des Friedensnobelpreises an die internationale Kampagne gegen Landminen.

Sich einmischen scheint faszinierend zu sein.

Beer: Sich einmischen ist nicht nur faszinierend; es ist auch eine Herausforderung sich immer wieder in neue Bereiche hineinzudenken. Ich habe Politik nie als eine Arbeit nur am Schreibtisch oder nur im Parlament verstanden. Der Anspruch, Politik mit den Menschen zu machen, war immer damit verbunden, ihre Sorgen und Nöte oder ihre Forderungen vor Ort kennen zu lernen: im verminten Grenzgebiet zwischen Irak und Iran, beim Militäreinsatz gegen Kurden in der Türkei, beim Gespräch mit Freunden im eingekesselten Sarajevo, bei der Kirchenbesetzung mit geflohenen Albanern aus dem Kosovo...

Obwohl du dich ja immer strikt gegen Militäreinsätze ausgesprochen hast, hast du dich im Kosovo-Konflikt schließlich doch für ein Eingreifen der Nato ausgesprochen. Warum?

Beer: Wir waren in einem nicht auflösbaren Dilemma: das Prinzip der Gewaltfreiheit einerseits und die Verpflichtung zum Schutz von Minderheiten und der Menschenrechte andererseits. Während des Bosnien-Krieges habe ich noch jeden Militäreinsatz abgelehnt, obwohl ich gerade durch meine Aufenthalte dort immer stärker Zweifel an dieser Position entwickelt habe. Ein Schlüsselerlebnis war, als Claudia Roth und ich anlässlich des Anti-Kriegstages nach Sarajevo fahren wollten. Wir sind in der Nähe von Konja in eine kroatisch-muslimische Stellung geraten, wo gerade der Kommandeur in Form eines Besäufnisses feierte. Sie führten uns zu einer großen Scheune. Drinnen war es dunkel, ein schrecklicher Geruch, kaum Sauerstoff. Es war alles mucksmäuschenstill, und wir hatten zum ersten Mal Angst. Da hörten wir auf einmal eine Schüssel, ein Geräusch, als wenn eine Waschschüssel auf den Boden gestellt wird, und dann kamen aus allen Ecken Kriechgeräusche. Dann ging das Licht an, und die ganze Scheune war voller Menschen. Es war ein Internierungslager, in dem Menschen vollkommen unwürdig, menschenverachtend gehalten wurden. Später kam Sebrenica.... und immer mehr die Frage: Hätte manches verhindert werden können, wenn frühzeitig durch einen Militäreinsatz versucht worden wäre, ethnische Säuberung zu verhindern? Dieser Frage hatten wir uns dann auch angesichts des brutalen Vorgehens Milosevics gegen die Albaner im Kosovo zu stellen. Nach allen Abwägungen habe ich mich für den Einsatz der NATO ausgesprochen. Die Situation hat ein klare Entscheidung gefordert: Ja oder Nein. Egal wie, jeder und jedem war bewusst, dass er oder sie eine große Verantwortung übernommen hat. Es gab keine Garantie für die Richtigkeit.

Hätte die Partei damals anders entschieden, wenn sie noch in der Opposition gewesen wäre?

Beer: Nein, ich glaube nicht. Vielleicht hätten wir in der oppositionellen Schmuseecke leichter Nein sagen können. Aber wie hätten wir das angesichts der Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen sollen?

Wenn du die Gründungszeit der Grünen mit der heutigen Situation der Partei vergleichst: Was gefällt dir an ihrer Entwicklung, und was nicht?

Beer: Wir haben uns in den vielen Jahren gewandelt und sind uns und unseren Zielen trotzdem treu geblieben. Wir haben schwierigste Entscheidungen zu Krieg und Frieden getroffen und sind dennoch auch heute die politische Kraft, die die Weiterentwicklung der Instrumente zur Krisen- und Konfliktprävention und zur Wahrung der Menschenrechte am stärksten betreibt. Wir müssen auch zukünftig unsere Grundsätze weiterentwickeln. Bei der Gerechtigkeitsfrage beispielsweise ist uns das früher als anderen gelungen: Geschlechtergerechtigkeit, Teilhabegerechtigkeit und Generationengerechtigkeit.

Du hast in der Rede zu deiner Kandidatur für die Europawahl gesagt: ¬ÑLasst uns Europa in die Herzen tragen.¬ì Was meinst du damit?

Beer: Mit Europa verbinden noch immer viele Menschen eine ferne, gesichtslose Bürokratie und eine beängstigende Unübersichtlichkeit. Deshalb streiten wir für mehr Transparenz, für eine Stärkung des Europaparlaments, für eine gemeinsame europäische Verfassung. Auf dem Weg zu einem friedlichen Europa, einem Europa der Vielfalt der Kulturen, aber auch einem Europa der Freizügigkeit, müssen wir die Menschen mitnehmen. Das gemeinsame Europa ist eine Chance für uns alle.

aus: "25 Jahre Grüne Geschichte(n)", 2004

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

TOP |