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Angelika Beer
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Die Rolle der Europäischen Union bei der Bestimmung des Status des Kosovo

Bremen, am 19.10.2007

Beitrag der Europaabgeordneten Angelika Beer, Grüne/EFA bei der Konferenz ¬ÑDer Kosovo als Herausforderung für die Europäische Union¬ì am 19. Oktober in Bremen

- Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bedanke mich ganz herzlich für die Einladung zu der heutigen Kosovo Konferenz in Bremen. Nicht nur der Zeitpunkt unseres Zusammentreffens ist gut gewählt sondern auch die Breite der Teilnehmer auf dem Podium mit Botschaftern verschiedener Nachbarstaaten des Kosovo. Denn auch wenn die Frage des Status Kosovos der zentrale Punkt ist ¬ñ wir dürfen die Auswirkungen einer anstehenden Entscheidung auf die Nachbarn wie Makedonien, Albanien, Bosnien Herzegowina und Serbien nicht aus dem Auge verlieren. Dies ist und war auch für mich die entscheidende Motivation in allen zurückliegenden Jahren, alle Regionen des Balkans regelmäßig zu besuchen. Wir müssen die Situation in den Ländern ebenso kennen wie die Positionen der Menschen, die dort leben und ein Recht auf eine stabile und sichere Zukunft haben.

Gestatten sie mir zunächst eine grundsätzliche Vorbemerkung: Heute Nacht ist es den 27 Mitgliedsstaaten gelungen, sich auf einen gemeinsamen Grundlagenvertrag zu einigen. Das ist gut so und längst überfällig. Es bedeutet aber noch nicht, dass Europa in wirklich guter Verfassung ist. Weltpolitisch haben wir zwar den Anspruch aktiver Akteur zu sein. In der Realität sehen wir uns aber aufgrund des Scheiterns der USA wegen des Krieges gegen den Irak, wegen Abu Grhaib, CIA-Verletzungen der elementaren Menschenrechte uvm. einer neuen Erwartungshaltung ausgesetzt. Die Hoffnung der Menschen in Afghanistan, Irak, Nah-Mittelost und Afrika sind eindeutig Richtung Europäische Union gerichtet ¬ñ und Europa kann und will aber nicht einfach in die militärischen Fußstapfen der Amerikaner treten. Wir haben den Anspruch politische Gesamtkonzepte zu entwickeln, die nur wenn nötig auch militärisch abgesichert werden sollen.

Dieses politische Gesamtkonzept gibt es in der Realität leider kaum, und dies beweist auch das Beispiel KOSOVO und Statusfrage ganz deutlich.

1. Die Friedensperspektive des westlichen Balkans liegt in Europa. Europa wiederum wird nur seinem Anspruch als Friedensmacht gerecht werden können, wenn wir verstehen und zu Grunde legen, dass der Balkan mitten in Europa liegt.
2. Europa muss seine Erweiterungsmüdigkeit überwinden. Erweiterung der EU ¬ñ das wäre es im Falle der Türkei. Aber die zuverlässige Perspektive für Makedonien, Kosovo, Serbien, Bosnien-Herzegowina Montenegro und Albanien ist keine EU Erweiterung, sondern eine dringend gebotene Vereinigung Europas.
3. Die EU Staaten haben eine Friedenspflicht dem Balkan gegenüber ¬ñ und deshalb ist der Umgang mit der Statusfrage Kosovos der Lakmustest für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU.
4. Nicht zu vergessen: Die Mitgliedschaft des gesamten Balkans wäre eine große kulturelle Bereicherung für ganz Europa.

Der negative Positionswechsel in der EU seit 2006:

Noch im Herbst 2006 positionieren sich die EU Kommission, der EU Kommissar Olli Rehn und das Europaparlament sehr eindeutig: Man hält an der Zusage der Vereinten Nationen, den Status Kosovos noch im Jahr 2006 zu klären, fest. Beide sprachen sich für eine konditionierte und überwachte Unabhängigkeit des Kosovos aus.

Diese Position veränderte sich rapide mit der Entscheidung Belgrads die für Ende 2006 beabsichtigten Wahlen auf 2007 zu verschieben und dem Zugeständnis der EU bzw. der Kontakt Gruppe, die zugesagte Entscheidung zum Status zu verschieben. Die für Kosovo beabsichtigten Wahlen wurden ebenfalls verschoben. Diese Verzögerung halte ich für einen der entscheidenden Fehler. Man hat den Kosovaren das Gefühl gegeben, dass Belgrad wieder den Schlüssel über Kosovos Zukunft zurückerhalten hat. Die Quint-Gruppe (Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien und die USA) hat damit im Grunde schon das Gesetz des Handelns aus der Hand gegeben und muss es sich wieder zurückholen. Es darf von keiner Seite Diktate geben, die das Ziel der konditionierten Unabhängigkeit des Kosovos unter EU- und NATO-Aufsicht in Frage stellen.

Seitdem gibt es aber eine hartnäckige Positionierung Russlands an Belgrads Seite ¬ñ und eine sehr ausgeprägte Lobbyarbeit Belgrads in den EU Mitgliedsländern wie auch im Europaparlament. Der Athisari Plan wurde entwickelt, von eingeschränkter Unabhängigkeit war keine Rede mehr ¬ñ die Kontaktgruppe hatte sich selber in eine politische Sackgasse manövriert.

Im Jahr 2007 wurde die Troika ins Leben gerufen. Der neu ernannte EU Beauftragte Dr. Ischinger soll zusammen mit RUS, UN, Belgrad und Pristina einen Kompromiss suchen und die Ergebnisse bis zum 10. Dezember dem UN Generalsekretär mitteilen. Mein Appell an die EU: warten wir nicht einfach ab was nach dem 10.12. passieren wird. Seien wir realistisch.

Szenarien

Alle reden von einem Kompromiss. Ich halte das für Utopie. Stattdessen sollte

1 Die USA und die EU in enger Kooperation mit allen Institutionen des Kosovo die konditionierte und überwachte Unabhängigkeit vorbereiten unter Beachtung wesentlicher Elemente des Athasari-Planes wie der 120 Tage Frist, denen das Parlament des Kosovo bereits zugestimmt hat. Dazu gehört, dass alle Körperschaften und Institutionen im Kosovo die Vorbereitungen für die Unabhängigkeit treffen einschließlich einer Verfassung, der Stärkung des Rechts und verstärktem Schutz serbischer Einrichtungen und Kulturgüter. Hierbei und bei der Verbesserung des Justiz- und Polizeiwesens muss die EU aktiv beteiligt sein. Diese Unabhängigkeit sollte im Fall des Scheiterns der Troika mit klarer Mehrheit der EU-Staaten unverzüglich anerkannt werden. EU Staaten, die Zweifel haben, sollen sich gemäß Artikel 27 des EU-Vertrages der Stimme enthalten und sich der ESVP Mission der EU sowie einer Internationalen Aufsicht mit einem EUSR an der Spitze im Kosovo nicht in den Weg stellen. Der Verbleib von NATO Truppen ist eine zwingendes Gebot und muss gesichert werden, daher sind auch NATO-Elemente in der Internationalen zivilen Aufsicht unter dem EUSR einzuplanen.

2 Wenn dies nicht erfolgt, droht nach dem 10. Dez. eine einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos ohne jedes Element aus dem Athasari-Plan. Die USA erkennen Kosovo sofort an, die EU spaltet sich in Befürworter und Gegner. Ein Szenario, das Belgrad ermuntern muss, den Prozess weiter anzuheizen, indem sich dann auch Nord Mitrovica unabhängig erklärt mit nachfolgenden Flüchtlingsbewegungen, die einer ethnischen Säuberung gleich kommen wird. Wir wissen auch um die weiteren Risiken mit den Stichworten: Presovotal, Nordwestmakedonien und anderen Regionen.

3 Es passiert gar nichts. Man lässt die Akte Kosovo einfach auf dem Schreibtisch der UN ohne zu entscheiden ¬ñ man gibt den Serben nach und verhandelt weiter ¬ñ ein frocen conflict. Der leicht eskalieren könnte.

Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen: es gab ein großes Vertrauen und vor allem große Geduld der Menschen im Kosovo, dass EU und IG ihre Zusagen einhalten. Dieses Vertrauenskonto ist nahezu aufgebraucht. Alle Kosovaren, egal ob Albaner, Serben, Roma u.a. ¬ñ sie alle haben ein Recht auf Klärung, und zwar bis zum 10.12.!

Dem derzeitigen Agieren der EU stehe ich kritisch gegenüber. Der Weg zu einem Kompromiss funktioniert nicht über Mediendiplomatie. Die Äußerungen des EU Beauftragten sind problematisch und stören den Prozess. Zunächst sprach er über Teilung des Kosovo (was von keinem in der Region akzeptiert wird), dann von Dayton als Modell für Kosovo (wir alle wissen dass Dayton in Bosnien Herzegowina die ethnische Teilung manifestiert hat), und nun meint er den Serben den Weg in die EU vereinfachen zu müssen, sozusagen als Karotte, um eine kontrollierte Unabhängigkeit Kosovos zu akzeptieren.

Ich sage: das funktioniert nicht! Genau das Gegenteil im Hinblick auf RUS und Belgrad ist jetzt notwendig:
- Belgrad muss ultimativ aufgefordert werden, die Boykottaufforderung an die Serben im Kosovo zur Wahl am 17.11. sofort zurückzunehmen und die Serben im Kosovo zu ermuntern, sich für die Gestaltung der Politik im Kosovo zu engagieren.
- Ein weitere Annäherung Serbiens an die EU durch das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) sollte ausgesetzt werden, solange Belgrad sich weigert, Kosovos überwachte Unabhängigkeit zu akzeptieren. Serbien muss das ja nicht formal begrüßen, aber ¬ñ sie können die Unabhängigkeit zur Kenntnis nehmen.
- Russland muss klar zurückgewiesen werden. Es geht Putin nicht um die Menschen im Kosovo, sondern er instrumentalisiert Kosovo in dem Machtkampf des heutigen Russlands mit den USA.
- Die EU muss aktiv werden. Es müssen durch ein verstärktes ESVP-Vorauskommando sofort UNMIKaufgaben übernommen werden. Nur so ist sicherzustellen, dass UNMIK nach Erklärung der konditionierten und überwachten Unabhängigkeit schnell abgezogen werden kann ohne dass während der 120 Tage Frist Lücken entstehen.

Ja natürlich, auch die EU und IG haben in all den Jahren Fehler auf dem Balkan und gerade im Kosovo gemacht. Aber die Zeit läuft ab und ich bin aus den vielen Gesprächen mit den Menschen vor Ort sicher: sie wollen Klarheit, sie wollen eine Zukunft, sie wollen das Recht auf Bewegungsfreiheit, auf Bildung, auf wirtschaftlichen Fortschritt. Schon deswegen kommt man an einer Realität nicht vorbei: Serbien hat Kosovo auf Grund der ethnisch geleiteten Politik Milosevics spätestens im Jahr 1999 verloren. Es gibt keinen Weg zurück ¬ñ und auch nicht die Aufrechterhaltung des Status quo.

Wir müssen alle zusammen die Herausforderung annehmen. Deshalb möchte ich zum Schluss Javier Solana zitieren, der am 3.10. vor dem Auswärtigen Ausschuss des EP sagte: ¬ÑThe EU would deploy an ESDP mission with or without an UN Security Council Resolution¬ì. Dies ist der richtige Weg, der vom Parlament auch unterstützt wird. Wir haben die Haushaltsmittel für 2008 freigegeben. Für die Ausbildung der Polizei und des Justizwesens im Kosovo, für die Unterstützung wirtschaftlicher Beziehungen und für die ESVP-Mission einschließlich eines EUSR.

 

© 2004 - Angelika Beer, MdEP.
Dieser Text ist Teil des Internetauftritts von Angelika Beer, MdEP.
www.angelika-beer.de

 

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