Jun 13 2014
»Mitläufer«-Aktion: Willkommenskultur in der Kommune?
Diese vergangene Juni-Woche hatte es in sich – und zwar nicht nur, was das Wetter anging. Die GroKo wollte die Balkanländer im Bundestag zu „sicheren Drittstaaten“ erklären lassen, damit Menschen von dort kein Asyl mehr beantragen können – während die Innenminister sich auf ihrem Treffen schließlich dazu durchrangen, die mageren Kontingente für syrische Flüchtlinge nun immerhin zu verdoppeln.
Doch wie sieht es für die wenigen Menschen aus, die Deutschland bzw. Schleswig-Holstein mittlerweile tatsächlich erreicht haben? Am Umgang mit sechs Menschen aus Afghanistan, die in der vergangenen Woche aus der zentralen Flüchtlingsunterkunft umverteilt wurden, wurde erschreckend deutlich, dass es mit der „Willkommenskultur“ in den Kreis- und Kommunalbehörden des nördlichsten Bundeslands nicht allzu weit her ist… Was ist also passiert? Am 3. Juni abends und am 4. Juni morgens erreichten mich die ersten Informationen, dass sechs Afghanen am 3. Juni einen Umverteilungsbescheid in einen anderen Kreis bekommen hätten. Sie hätten die neue Unterkunft gesehen und diese nach nur kurzer Zeit panisch wieder verlassen. Einer von ihnen spreche Deutsch und habe ein Handy – aber man wisse nicht, wo sie jetzt seien. Das war der Startschuss für zahlreiche Telefonate, E-Mails und damit auch einer wunderbaren Solidarität von Menschen und Organisationen, die sich Sorgen und Mühe machen, um Flüchtlinge in unserem Land zu unterstützen.
Ich fuhr erst einmal zu der Anschrift der neuen Unterkunft und stellte fest, dass hier ein Irrtum vorliegen müsse: Es handelte sich um ein privates Einfamilienhaus. Also zurück und Kontaktaufnahme zu den anderen. Beim Telefonat mit einem der sechs wird schnell klar, dass sie nicht mal wissen, wo sie im Moment sind. Nachdem also ihr Aufenthaltsort geklärt war, holte ich den jungen Mann mit dem Telefon dort ab und fuhr ihn zur neuen Bleibe. Die Anschrift, die sie bekommen hatten, war falsch gewesen, aber ganz in der Nähe erkannte er das Gebäude, das sie beziehen sollten, wieder.
Zunächst war ich überrascht: Sechs Menschen sollten in einem kleinen Gebäude in einem kleinen Dorf unterkommen – ohne jede Infrastruktur? Nun, immerhin gibt es eine Bushaltestelle – aber wie sollen sie den Bus bezahlen? Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist zehn Kilometer km entfernt. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, eine Schule zu besuchen, einen Sprachkurs oder eine Arbeit zu finden.
Wir betraten also das Haus, vor dem sich nun Müllsäcke stapeln, und zwei freundliche Menschen erklärten uns, dass sie im Auftrag der Gemeinde aufräumten. Was wir sehen konnten, war eine Menge Schmutz und Müll; drei kleine Zimmer, jeweils zwei Betten und keine Schränke. WC und Dusche waren schlicht unbenutzbar und für die die Küche mit verfaulten Schränken, rausgerissenem Herd und in allen Ecken Rattengift auf dem schimmeligen Holzfußboden ließ sich auch nichts vorteilhafteres sagen.
Dort hatte man die sechs Menschen also einfach abgesetzt. Es lagen auch noch persönliche Gegenstände rum: Kamm, Rasierapparat, Handtücher, Tabak auf dem Tisch, eine halbvolle Tasse. Fast bekam man den Eindruck, dass die letzten Bewohner des Hauses ihre Bleibe sehr eilig und wohl auch nicht ganz freiwillig hatten verlassen müssen. Hatte es sich vielleicht um abzuschiebende Asylbewerber gehandelt, die im Hau-Ruck-Verfahren abgeschoben worden waren?
Die nächste Telefon- und Mailwelle begann. Das zuständige Amt war nicht zu erreichen, auch in der Kommune erreichte ich keinen Ansprechpartner. Es eilte immer mehr, denn da die sechs Flüchtlinge sich geweigert hatten, die Bruchbude zu beziehen, war auch eine Geldsperre in Kraft getreten. Ich brachte sie daher zurück zu der zentralen Sammelunterkunft in Neumünster, in der sie zunächst wieder unterkommen konnten.
Pfingsten nahte – und endlich erreichte ich am Freitagmittag dann doch noch die Gemeinde. Immerhin, eine ehrliche Entschuldigung, das sei alles ein Versehen gewesen und das Haus werde bis Pfingstmontag noch in Schuss gebracht. Statt der geplanten sechs Personen bräuchten sich dann wohl auch nur drei das kleine Häuschen zu teilen.
Inzwischen wissen wir auch, dass es vorgesehen gewesen war, die jungen Männer statt am 3.Juni erst am 10. Juni in das Haus umziehen zu lassen. Dies hat dann nun auch hoffentlich einigrmaßen reibungslos geklappt. Ich habe jedenfalls keine weiteren Problemen mehr gehört.
Aber mir als »Mitläuferin« ist einmal mehr klar geworden: Es reicht nicht aus, wenn im großen Konsens im Landtag die »Willkommenskultur« beschworen wird und zukünftig auch einmal im Jahr der »Tag des Willkommens« begangen werden soll. Die Landesregierung ist verantwortlich, dafür zu sorgen, dass die Kommunen und Gemeinden auf dem Weg einer wirklichen Willkommens- und Bleiberechtskultur mitgenommen werden. Sie brauchen die Mittel und die Kenntnisse, um im Umgang mit Flüchtlingen die Menschenwürde nicht zu verletzen. Auch brauchen wir endlich einen verbindlichen Beschluss zu den Mindeststandards der Flüchtlingsunterkünfte.
Unser Flüchtlingsbeauftragter, Stefan Schmidt, hat den Vorschlag für einen Heim-TÜV nach dem Vorbild Sachsens bereits 2012 vorgelegt. Der Landtag hat die Landesregierung im Herbst 2013 aufgefordert, ein entsprechendes Konzept für die Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit den Kommunen vorzulegen und halbjährlich Bericht zu erstatten (PDF).
Allen muss klar sein: Solange die zentralen Eckpunkte des Heim-TÜVs nicht durch die Landesregierung verbindlich umgesetzt werden, wird es immer wieder zu Vorfällen wie dem in dieser Woche kommen.